Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Teppich.
    »Dave?«
    »Nein, für mich nicht. Ich brauche einen klaren Kopf, denn wir sitzen ganz schön in der Scheiße, und zwar in so vieler Hinsicht, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Sobald wir ein Handynetz haben, rufe ich Sterling an.«
    »Was, den Anwalt?«
    Er stellt sich vor, wie Sterling sich mit seiner vertrockneten Bohnenstange von Frau zum Abendessen setzt und mit leiernder, lebloser Gerichtssaalstimme von dem Fall erzählt, an dem er gerade arbeitet – oder vielleicht erzählt er auch Witze, vielleicht mixt er Martinis oder kommt in irgendeinem Club mit einer Frau zur Sache, die ein Dekolleté bis fast zum Nabel hat und ganz eindeutig nicht seine Ehefrau ist, wer weiß das schon? Er jedenfalls weiß nichts von diesem Mann, außer dass seine Rechnungen Erpresserbriefen gleichen.
    »Ja«, sagt er, »ich muss wissen, woran wir sind. Ich meine, ich bin nicht scharf darauf, dass die Küstenwache an Bord kommt, wenn du verstehst, was ich meine. Wir müssen irgendwann einen Notruf senden, aber ich schätze, das tun wir, wenn wir die Hafenlichter sehen, also in etwa« – er sieht auf die Uhr – »zweieinviertel Stunden. Und dann können sie machen, was sie wollen – unsere Aussagen aufnehmen, die Leiche an Land bringen und die Kriminalpolizei und den Gerichtsmediziner und was weiß ich wen holen. Aber ich will, dass Sterling da ist. Auf dem Steg.«
    »Aber die können uns doch nichts anhaben.« Joshs Stimme ist so leise, dass man sie über dem dumpfen Krachen der Wellen und dem beständigen Brummen des Motors kaum verstehen kann. »Oder doch?«
    Wilson schüttelt den Kopf. »Auf keinen Fall. Wir müssen unsere Aussagen machen, immerhin sind wir ja Zeugen. Du jedenfalls. Du hast gesehen, wie sie ums Leben gekommen ist, stimmt’s? Es ist wie bei einem Autounfall oder so, bei dem du Zeuge warst. Da wollen die Bullen dann auch wissen, wer wann wo was gemacht hat. Du weißt schon.«
    Der Bug erhält einen plötzlichen Stoß von einer Welle, die aus der Reihe tanzt. Für einen Augenblick sind sie schwerelos, bevor sie in das Wellental tauchen und auf der anderen Seite wieder hinauffahren, wobei das ganze Boot erzittert. Und dann erneut ein Stoß, ein Auf und Ab, nur dass diesmal etwas gegen die Kajütentür schlägt. Es dauert eine Sekunde, bis ihnen klar wird, was das war.
    »Wir müssen sie reinholen«, sagt Josh und steht schwankend auf.
    »Lasst sie liegen«, sagt Dave. Er denkt an den Schmutz, den Sand und die Nässe, an das, was mittlerweile womöglich aus ihr herausgesickert ist. Angeblich entspannen sich die Schließmuskeln, wenn man stirbt. Hat er doch irgendwo gelesen.
    »Sie liegenlassen? Wir reden hier von einem menschlichen Wesen.«
    »Von etwas, was mal ein menschliches Wesen war.«
    »Du Scheißkerl. Leck mich doch. Cammy hatte recht. Wenn du nicht –«
    Er ist drauf und dran aufzuspringen und ihm eine reinzuhauen, diesem jämmerlichen, weinerlichen milchgesichtigen Wicht, der eigentlich Windeln tragen sollte, und was bildet er sich eigentlich ein, was bildet er sich verdammt noch mal eigentlich ein, so mit ihm zu reden, als Wilson, die Stimme der Vernunft, sagt: »Und wenn sie über Bord geht?«
    »Sie geht nicht über Bord.«
    »Aber wenn doch?«
    Sie haben recht. Natürlich haben sie recht. Wenn sie die Leiche verlieren, sieht es so aus, als wollten sie etwas vertuschen, irgendeine Schandtat, vielleicht sogar einen Mord. Plötzlich schämt er sich für seine Gedanken. Bis heute hat er noch nie einen toten Menschen gesehen, und kaum ist es geschehen, da legt er sich auch schon eine Geschichte zurecht, wie ein Verbrecher, wie ein Mörder. »Okay«, sagt er schließlich. »Dann bringt sie rein. Aber legt sie nicht auf die Couch oder in eine der Kojen. Einfach aufs Deck, okay?«
    Durch die geöffnete Tür weht ein Schwall Luft, die nach Meer riecht, und im nächsten Augenblick kommt Josh rückwärts herein und zieht Kellys Leiche hinter sich her, doch er allein wird damit nicht fertig, und so steht Wilson auf, um ihm zu helfen. Totes Gewicht – dieser Ausdruck gewinnt eine Bedeutung, die er bisher nicht hatte, nicht haben konnte. Sie liegt halb drinnen, halb draußen. Das Boot taucht ein und hebt sich wieder. Jetzt riecht es nach etwas anderem, nach Urin und Fäkalien. Und dann reißt der Poncho, ein billiges, beschichtetes Ding, das sein Geld nie wert war, der Länge nach auf, als Josh versucht, ihn zu packen zu bekommen, und da liegt Kelly rücklings hingestreckt auf dem

Weitere Kostenlose Bücher