Grünes Gift
Sheila recht hatte und die Reise nicht ganz ungefährlich war, doch ihr Herz sagte ihr, daß Beau ihr niemals ein Haar krümmen würde.
»Ich muß Sie leider schon hier am Tor rauslassen«, sagte der Taxifahrer, als sie das Institutsgelände erreicht hatten. »Die Leute mögen in der Nähe des Hauses keine Autoabgase. Aber es sind nur noch etwa hundert Meter zu laufen.« Cassy bezahlte und stieg aus. Das Gelände sah ziemlich ursprünglich aus. Mit dem weißen Zaun, der als Grenze diente, erinnerte es an eine Pferdekoppel. Der Balken am Eingangstor, der die Zufahrt hätte versperren können, war geöffnet. Auf jeder Seite des Tors stand ein gut gekleideter Mann in Cassys Alter. Sie waren beide braungebrannt, sahen sehr gesund aus und lächelten freundlich, doch als Cassy auf sie zuging, stutzte sie. Ihre Miene veränderte sich keinen Deut. Es war, als ob man ihre Gesichter eingefroren hätte. Die Männer waren ausgesprochen nett, auch wenn ihr Lächeln aufgesetzt wirkte. Als Cassy ihnen erklärte, daß sie gekommen sei, um Beau Stark zu treffen, erwiderten sie, daß sie das sehr gut verstünden und wiesen ihr den Weg zum Haus. Leicht irritiert ging Cassy die von Bäumen gesäumte kurvige Auffahrt hinauf. Im Schatten der Bäume lagen ein paar große Hunde. Jeder der Hunde nahm sie aufmerksam ins Visier, doch keiner näherte sich ihr.
Als die Pinien den Blick auf die hügeligen Wiesen und das Herrenhaus freigaben, konnte Cassy nur noch staunen. Ihr mulmiges Gefühl war wie weggeblasen. Das einzige, was den herrlichen Ausblick trübte, war ein riesiges, über den Eingang gespanntes Transparent.
Als Cassy die ersten Stufen der Treppe hinaufgestiegen war, kam eine junge Frau auf sie zu, die etwa in ihrem Alter zu sein schien. Sie lächelte in der gleichen gekünstelten Art wie die Männer am Tor. Von drinnen war Baulärm zu hören. »Ich möchte zu Beau Stark«, sagte Cassy.
»Ich weiß«, entgegnete die Frau. »Bitte folgen Sie mir.« Die Frau führte sie die Treppe wieder hinab und um das riesige Haus herum.
»Ein wunderschönes Haus«, bemerkte Cassy, um etwas zu sagen.
»Ja, nicht wahr?« entgegnete die Frau. »Dabei fangen wir gerade erst an. Wir sind alle ganz begeistert.« Auf der Rückseite des Hauses befand sich eine riesige Terrasse und ein mit Efeu überrankter Laubengang. Hinter der Terrasse war der Swimmingpool. Am hinteren Rand des Pools war ein großer Sonnenschirm aufgespannt. Darunter stand ein Tisch, an dem acht Personen saßen. Beau saß am Tischende. Ein paar Meter entfernt im Gras lag King.
Cassy näherte sich der Tischgesellschaft. Sie mußte zugeben, daß Beau toll aussah. Er sah sogar noch besser aus denn je. Sein dickes Haar glänzte noch schöner als sonst, sein Gesicht strahlte so frisch, als hätte er ein Bad im Meer genommen. Sein weites, weißes Hemd hatte er offenbar mit Bedacht gewählt. Die anderen Personen am Tisch trugen Anzüge und Krawatten, auch die Frauen.
Zu beiden Seiten des Tisches standen Staffeleien mit obskuren Graphiken und unverständlichen Gleichungen. Über den ganzen Tisch verstreut lagen Blätter mit ähnlichen Skizzen. Darüber hinaus summte ein halbes Dutzend Laptops vor sich hin. Cassy hatte sich noch nie im Leben so unsicher gefühlt. Je näher sie dem Tisch kam, desto ängstlicher wurde sie. Sie hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte, und daß sie nun auch noch eine Versammlung lauter wichtig aussehender Menschen störte, machte die Sache noch schlimmer. Sie waren alle deutlich älter als Beau und sahen aus wie Juristen, Ärzte oder andere Fachleute.
Bevor sie den Tisch erreichte, wandte Beau den Kopf in ihre Richtung. Als er sie erkannte, strahlte er über das ganze Gesicht und sprang auf. Ohne ein Wort zu den anderen zu sagen, lief er ihr entgegen und nahm sie bei den Händen. Seine blauen Augen strahlten vor Freude. Für einen Augenblick glaubte Cassy, in Ohnmacht zu fallen. Seine riesigen schwarzen Pupillen drohten sie förmlich aufzusaugen.
»Bin ich froh, daß du gekommen bist!« begrüßte Beau sie. »Ich habe mir so gewünscht, mit dir zu reden.« Beaus Worte rissen Cassy aus ihrer momentanen Hilflosigkeit. »Warum hast du mich dann nicht angerufen?« fragte sie. Diese Frage hatte sie bislang nicht einmal sich selbst zu stellen gewagt.
»Es war so hektisch hier«, versuchte Beau sich zu rechtfertigen. »Ich habe rund um die Uhr auf Hochtouren gearbeitet. Glaub mir!«
»Dann muß ich wohl froh sein, daß ich dich überhaupt zu Gesicht bekomme«,
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