Grünes Gift
Cassy ließ sich die Zeitung geben und überflog den Artikel, während Jesse weiterfuhr. »Hier steht, daß die Kranken sich zwar erbärmlich fühlen, aber schnell wieder gesund werden. Zumindest ansonsten gesunde Menschen. Menschen mit chronischen Krankheiten empfiehlt der Verfasser, sich beim ersten Krankheitszeichen umgehend in ärztliche Behandlung zu begeben.«
»Als ob das etwas bringen würde«, entgegnete Pitt. In Costas Diner fanden sie eine Nische mit Blick auf die Straße. Cassy und Pitt hielten nach Marjorie Ausschau, doch sie war nirgends zu sehen. Als ein Junge in Jonathans Alter an ihren Tisch kam, um die Bestellungen aufzunehmen, fragte Cassy ihn, ob Marjorie nicht da sei.
»Sie ist in Santa Fe«, erwiderte der Junge. »Mit einem Haufen anderer Leute. Deshalb muß ich heute aushelfen. Ich bin Stephanos, Costas Sohn.«
Als Stephanos in die Küche verschwand, erzählte Cassy den anderen von ihren Beobachtungen in Santa Fe. »Sie arbeiten alle an diesem schloßähnlichen Haus.«
»Und was haben sie damit vor?« fragte Jesse. Cassy zuckte mit den Schultern. »Das habe ich Beau auch gefragt. Aber er hat mich mit Allgemeinheiten abgespeist. Er hat irgend etwas von einem Neubeginn gefaselt und daß sie alles wieder gutmachen würden, was, zum Teufel, das auch bedeuten soll.«
»Ich denke es ist out, solche Wörter zu benutzen«, sagte Jonathan.
»Du hast recht«, entgegnete Cassy. »Entschuldigung.« Pitt sah schon wieder auf die Uhr. Seit sie hier saßen, hatte er sich bereits zehnmal vergewissert, wie spät es war. »Jetzt müßten sie in der Zentrale der Centers for Disease Control eintreffen.«
»Vielleicht gehen sie auch erst später hin, weil so früh noch gar nicht geöffnet ist«, gab Cassy zu bedenken. In der Nische neben ihnen saß eine vierköpfige Familie. Plötzlich fingen sie beinahe gleichzeitig an zu husten und zu niesen. Die Grippe verbreitete sich rasend schnell. Pitt sah zu ihnen hinüber. Den Vater schien es besonders schlimm erwischt zu haben; er war kreideweiß und schien Fieber zu haben. »Ich wünschte, ich könnte sie warnen«, flüsterte er.
»Und was würdest du ihnen sagen?« fragte Cassy. »Daß in jedem von ihnen ein außerirdisches Monster lebt, das gerade aktiviert wird? Und daß sie deshalb ab morgen nicht mehr sie selbst sein werden?«
»Du hast ja recht«, gestand Pitt. »Wenn sie erst mal die Symptome haben, kann man nichts mehr für sie tun. Das Schlüsselwort lautet Vorbeugung.«
Dr. Wilton Marchand lehnte sich in seinem hochlehnigen Schreibtischsessel zurück und legte die Hände auf seinen gewaltigen Bauch. Die Ernährungs- und Bewegungsempfehlungen seiner Organisation hatte er immer in den Wind geschlagen. Von seinem Äußeren her hätte man ihn eher für einen erfolgreichen Brauereibesitzer gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts gehalten als für den Leiter der Centers for Disease Control.
Dr. Marchand hatte ein paar Abteilungsleiter zu einer Adhoc-Sitzung zusammengerufen. Anwesend waren Dr. Isabel Sanchez, Leiterin der Influenzaabteilung, Dr. Delbert Black, zuständig für pathogene Keime, Dr. Patrick Delbanco, Leiter der Abteilung Virologie, und Dr. Hamar Eggans, Leiter der epidemiologischen Abteilung. Am liebsten hätte Dr. Marchand noch weitere Experten hinzugezogen, doch sie waren entweder dienstlich unterwegs oder anderweitig unabkömmlich.
»Vielen Dank«, sagte Dr. Marchand an Sheila gewandt, die die Problematik gerade engagiert und detailliert vorgetragen hatte. Dr. Marchand sah seine Abteilungsleiter erwartungsvoll an. Ganz heiß darauf, die einzige Kopie, die Sheila ihnen bei Beginn ihres Vortrags überreicht hatte, so schnell wie möglich zu studieren, waren sie eng zusammengerückt. Sheila warf Eugene und Nancy einen kurzen Blick zu. Sie saßen rechts neben ihr. Im Raum war es mucksmäuschenstill. Nancy gab Sheila durch ein Nicken zu verstehen, daß sie ihre Aufgabe hervorragend erledigt hatte. Eugene zuckte mit den Achseln und runzelte die Stirn; er wußte nicht, was er von dem Schweigen halten sollte. Er fragte sich, warum all diese CDC-Bosse die Bombe, die Sheila gerade hatte platzen lassen, mit einer derartigen Gemütsruhe hinnehmen konnten.
»Entschuldigen Sie bitte«, meldete er sich nach etwa einer Minute zu Wort. Er konnte die Stille nicht länger ertragen. »Als Physiker möchte ich noch hinzufügen, daß diese schwarzen Scheiben aus einem Material bestehen, daß man auf der Erde nicht herstellen kann.«
Dr. Marchand nahm den
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