Gruenkohl und Curry
noch nichts, meine Schwester quengelte auf seinem Schoß und ich war in Sorge, in letzter Minute könnte mein Traum vom Fliegen platzen.
»Vertan? Also, aus Versehen wird er Ihnen sicher nicht gesagt haben, dass Sie wieder einreisen dürfen. Er müsste schon wissen, dass das mit einer Duldung nicht geht.«
Jetzt bemühte er sich, uns zu helfen. »Wenn Sie trotzdem reisen wollen, sollten Sie in Karatschi schnellstens zum Generalkonsulat gehen, falls es dort eins gibt, und ein Visum für sich und Ihre Kinder beantragen.«
Jetzt war auch meine Mutter am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Sie erinnerte sich daran, wie schwierig es war, dort ein Visum zu bekommen.
Der Beamte sah, wie verzweifelt meine Eltern waren.
»Ich kann Ihnen nur raten, nicht zu fliegen, wenn Sie in drei Wochen wieder zu Hause sein müssen. Nur Sie, Herr Kazim, können bedenkenlos reisen.«
Nicht fliegen, sagte er. Ich heulte jetzt. Meine Mutter schimpfte mit mir.
Meine Eltern schauten sich an, verabschiedeten sich von dem Beamten, packten uns und rannten zurück zum Schalter. Sie ließen das Gepäck wieder aus dem Flugzeug holen.
Dann suchten sie eine Telefonzelle. Mein Vater war erleichtert, dass er genügend Zehnpfennigstücke in der Tasche hatte. Sie riefen Pastor Lochte an.
»Wie bitte, Sie dürfen nicht wieder einreisen? Wer sagt denn so etwas?«
Meine Mutter erklärte ihm die Lage.
»Warten Sie, bleiben Sie dran«, beschied Lochte. Mit dem zweiten Telefon rief er jemanden an. Ich stand neben meiner Mutter und selbst ich hörte ihn brüllen. Ein paar Minuten später war er wieder da.
»Also, ich kann im Moment nichts tun. Aber reisen Sie! Reisen Sie und genießen Sie Ihren Urlaub! Ich werde dafür sorgen, dass Sie in drei Wochen wieder hier sind.«
Lochtes Wort hatte Gewicht für meine Eltern, sie vertrauten ihm. Wenn er sagte, er würde dafür sorgen, dass wir in drei Wochen wieder einreisen durften, dann war das auch so. Ganz bestimmt.
Wieder rannten wir zum Schalter von Pakistan International Airlines. Die Mitarbeiter sahen uns entsetzt an. Unseretwegen hatte der Flug Verspätung, die Maschine war endlich abflugbereit.
»Wir wollen doch fliegen!«, verkündete mein Vater.
Er stellte die Koffer wieder auf das Band, während die Mitarbeiter der Fluggesellschaft uns immer noch anstarrten.
»Sind Sie sicher?«
Wir liefen zur Grenzkontrolle, der Beamte erkannte uns und winkte uns durch.
»Sie reisen also doch?«
»Ja, ein Freund regelt die Angelegenheit in Stade.«
»Wie Sie meinen«, sagte der Beamte. »Dann gute Reise!«
In letzter Minute bestiegen wir die Maschine, eine DC 10, wie ich in meinem Flugzeugbuch nachgeschlagen hatte, das ich unterm Arm trug.
Die ersten Tage in Pakistan waren schrecklich. Diese vielen Menschen, die alle irgendwie mit mir verwandt waren und mich behandelten, als wäre ich ein kleines Kind. Ich konnte mir ihre Namen kaum merken. Und sie lebten so anders als wir: Drei Generationen unter einem Dach, alle schliefen gemeinsam in einem großen Raum, in dem nachts der Ventilator die heiße Luft herumwirbelte. Sie kleideten sich anders, rochen anders, außerdem brachten mich die Mücken fast um. Und ich mochte das Essen nicht. Südasiatische Gerichte gab es zwar auch bei uns zu Hause in Hollern, Currys, Reis und Fladenbrot, aber hier schmeckte alles anders – nicht so, wie ich es gewohnt war. Besonders eklig fand ich, dass im Curry immer Knochen und Fettstücke schwammen, wie es in Südasien eben üblich ist; trotzdem macht man sich dort gerne über die Chinesen lustig, die sogar Hühnerfüße essen und es mit der Verwertung von Tieren doch etwas übertreiben würden. Die Milch war viel dünner als zu Hause und hatte einen eigenartigen Geschmack, selbst Kakaopulver half da nichts. Mir war ständig schlecht. Trotzdem sagten meine Verwandten alle fünf Minuten
»Khana khao, khana khao, khana khao!«
– »Iss etwas!« zu meiner Schwester und mir. Ihrer Meinung nach aßen wir viel zu wenig und waren deshalb so dünn und schwächlich. Die Aufforderung zu essen war ihre Art der Sympathiebekundung.
Wir wollten so schnell wie möglich wieder zurück nach Hause.
Auch bei meinen Eltern war die Stimmung gedrückt: Sie hatten ihre Eltern lange nicht mehr gesehen und mussten feststellen, dass die vergangenen Jahre ihre Spuren hinterlassen hatten. Qamar Jehan war stiller geworden, das Alter hatte ihr ihre lebenslustige Art genommen und das Gehen fiel ihr schwer. Aber was sollte man erwarten, sie hatte vierzehn
Weitere Kostenlose Bücher