Grünmantel
Lily wohl tun, wenn der Hirsch nicht mehr käme? Würde Tommy trotzdem noch seine Flöte blasen? Oder würden alle Dorfbewohner weggehen? Vielleicht wäre es besser, wenn sie gingen. Ali wußte nicht, ob die Leute von New Wolding glücklich waren oder nicht, aber sie hatten noch nie Gelegenheit gehabt, sich umzuschauen, was es sonst Sehenswertes auf der Welt gab. Das war in ihren Augen auch nicht richtig.
»Ich muß jetzt gehen«, sagte sie plötzlich.
»O nein«, rief Lily, »ich habe dir ja noch nicht mal einen Tee angeboten! Außerdem wollte ich gerade Plätzchen backen.«
»Ein anderes Mal«, meinte Ali. »Ich habe es wirklich eilig.«
»Versprichst du mir, daß du mich wieder besuchst?«
Ali nickte. »Auf Wiedersehen, Lily. Und vielen Dank.«
»Wofür?« fragte die alte Frau, doch Ali war schon an der Tür.
Sie winkte ihr noch einmal zu, trat hinaus und schloß die Tür leise hinter sich. Mally erwartete sie wie versprochen am gleichen Platz und spielte mit dem Wanderstock.
»Werden wir jetzt Lewis besuchen?« fragte sie.
Ali schüttelte den Kopf. »Wir werden uns auf Knochensuche begeben. Wo sollen wir das Feuer anzünden?«
»Es gibt nur einen geeigneten Ort dafür«, antwortete Mally und reichte Ali den Wanderstab. »Ganz oben auf dem Wolding-Hügel.«
»In Ordnung. Gehen wir.«
Noch drei oder vier Minuten, nachdem sie die .38er abgefeuert hatte, spürte Frankie Schmerzen im Handgelenk, und ihre Ohren waren taub von dem lauten Knall. Tony hatte sie vor dem Rückstoß der Waffe gewarnt, hatte ihr gezeigt, wie man beim Schießen die rechte Hand mit der linken stützte - und trotzdem war es wie ein Schock gewesen.
»Ich glaube, ich bleibe doch bei der anderen«, meinte sie.
Valenti nickte und gab ihr die Automatik zurück. »Ich habe mir schon gedacht, daß Sie damit besser zurechtkommen«, meinte er, »aber ich wollte, daß Sie die .38er wenigstens mal ausprobieren - nur damit Sie wissen, wie sich das anfühlt. Dieser Punkt dürfte damit erledigt sein.«
Frankie sah auf die Zielscheibe, die sie ungefähr fünfzehn Schritte von ihrem Standort entfernt aufgestellt hatten. »Ich habe nicht mal die Scheibe getroffen.«
»Mit der Automatik haben Sie besser geschossen, Frankie. Sie haben das sehr gut gemacht. Wollen wir ins Haus gehen und uns ein Sandwich machen?«
»Gern. Aber warum sind Sie eigentlich nicht hinter den Kerlen her - statt umgekehrt? Warum fahren Sie nicht in die Stadt und halten sie auf, bevor sie hier herauskommen?«
»Erstens sind sie in der Stadt im Vorteil. Wir können nicht einfach mit der ganzen Artillerie herumlaufen und um uns ballern, falls wir nahe genug an sie herankommen. Zum zweiten können sie uns dort überall auflauern, uns fertigmachen und verschwinden. Außerdem - was würden Sie denn der Polizei erzählen, wenn man uns anhält und findet bei mir die UZI - und bei Ihnen das Schießeisen?«
»Sie haben recht.«
»Da ist noch etwas. Sollten sie uns in Ruhe lassen, bin ich gern bereit, ihnen ebenfalls diesen Gefallen zu tun. Ich bin kein schießwütiger Hund, Frankie. Ich möchte nur diesen ganzen Mist endlich hinter mir lassen. Wenn sie mich allerdings dazu zwingen, werde ich ihnen mit der ganzen Feuerkraft entgegentreten, die ich zusammenbringen kann. Aber mir wäre es lieber, sie ließen mich in Frieden.«
»Ich bin froh, das zu hören. Wirklich.«
Valenti nickte. »Ich sage das nicht nur, weil Sie es hören möchten. Das dürfen Sie mir glauben.«
»Ich glaube Ihnen.«
»Das ist gut. Sehr gut sogar.«
Sie legten die Waffen auf den Tisch und machten sich an die Vorbereitungen für den Lunch. Während Frankie das Brot schnitt, warf sie zufällig einen Blick auf die Küchenuhr über dem Herd. »O nein!« rief sie. »Es ist ja schon nach zwölf.«
»Was ist denn?« fragte Valenti.
»Ali - sie ist noch nicht zurück. Gott, ich bin eine schreckliche Mutter. Ich habe sie völlig vergessen. Wenn ihr etwas zustößt ...«
»Das ist schon in Ordnung, glauben Sie mir. Ihr geht es gut.«
»Aber was treibt sie denn so lange da draußen?«
Frankie hatte sich zu Valenti umgedreht und sah ihn scharf an. Valenti seufzte. Vielleicht war es an der Zeit, auch mit dem Rest der Lügen aufzuräumen. Nun, es waren zwar keine krassen Lügen, verbesserte er sich im stillen, sondern nur Dinge, in die Ali und er ganz unerwartet hineingezogen worden waren.
»Also gut«, meinte er. »Sie hat eine Freundin im Wald, ein Mädchen namens Mally. Und dann ist da das kleine Dorf, das
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