Grünmantel
mit einem deutschen Schäferhund. Sie lauschten der Musik des Ziegenmannes, und wie dieser begann auch der Mann an sich herumzuspielen. Dann sah Ali ihn mit einer Frau im Bett, sah, wie er gerade von hinten in sie eindrang und dabei wie ein Tier heulte. Sie sah, wie er den Hund erschoß. Sie sah ihn, wie er über ihre eigene Mutter herfiel, sie auf die Motorhaube eines Wagens warf und ihr die Kleider vom Leib riß. Sie sah, wie er sich die Läufe der Schrotflinte, mit der er den Hund erschossen hatte, in den Mund schob und den Hahn durchzog. Und die ganze Zeit über erklang diese höllische Musik, als kratze man mit den Fingernägeln über eine Schultafel. Und hinter dem Mann stand der Ziegenbärtige und grinste ... grinste ...
»N ... ne ... iin!« rief Ali.
Aber sie wußte, daß es wahr war. Was der Kapuzenmann ihr jetzt zeigte - all dies war geschehen. Sie sah, wie der Ziegenmann die Flöte beiseite legte, die Finger in das Blut des Toten tauchte und die rote Flüssigkeit mit der gespaltenen Zunge - und sichtlichem Genuß - ableckte ...
Alles wahr.
»Das ist es, was Satan dir bietet«, sagte der Kapuzenmann. »Das und nichts sonst. Kummer und Schmerz. ›Widersage dem Teufel - und er wird dich fliehen.‹ Glaub an die heilige Bibel - ›Gott ist das Licht, und in ihm ist kein Dunkel.‹ Kein Raum für solch eine Lästerung gegen das Leben.«
Jetzt sah Ali die Lichtung mit dem alten Stein, und die Dorfbewohner tanzten zum Flötenspiel einer älteren Ausgabe von Tommy Duffin um ihn herum. Sie erkannte Lewis und Lily, beide viel jünger, als sie jetzt waren. Ein Mann stand neben dem Stein und hielt ein langes Messer in der Hand. Zwei andere Dorfbewohner führten einen Ochsen herbei.
Der Mann schnitt dem Tier die Kehle durch und sammelte das hervorspritzende Blut in einer großen Metallschüssel, die er zu dem Stein hochhob, wo wiederum das Mysterium stand, diesmal als Mann mit einem Geweih. Seine Augen glühten immer noch. Statt Fingernägeln hatte er lange Krallen. Er griff nach der Schüssel und trank daraus. Dabei rann ihm ein Schwall über das Kinn und tropfte ihm auf den grünen Mantel aus Blättern. Und die ganze Zeit über tanzten die Dorfbewohner zu der höllischen Musik des Flötenspielers.
Wahrheit.
Sie sah ein Paar im Wald kopulieren, und der Ziegenmann stand neben ihnen, als sie sich in wilder Leidenschaft umschlangen. Die Lust in ihren Augen aber war nur ein schwacher Abglanz der Glut in den Augen des Ziegenmannes, als er seinen Samen auf die beiden verspritzte.
Wahrheit.
»›Entsage der Fleischeslust, die die Seele befleckt‹«, murmelte der Kapuzenmann. »Ist dies das Monster, das du verehrst, Kind? Ist es dein unschuldiger Körper, in den diese Kreatur in ihrer gottlosen Lüsternheit eindringen soll?«
»N ... nei ... n!«
Die Bilder zogen in ihrem Kopf vorbei - eins widerlicher als das andere. Ali würgte vor Ekel und Abscheu. In plötzlichem Zorn warf sie sich gegen ihre Fesseln, doch es gab kein Entrinnen - nicht aus den Fesseln und nicht vor den Bildern, mit denen der Kapuzenmann mit Hilfe des Kreuzes ihren Kopf füllte.
»Die Schrift fragt: ›Wenn Gott mit uns ist, wer könnte gegen uns sein?‹, und ich antworte dir darauf: Satan. Siehst du sein Werk, Kind? Willst du ihn immer noch empfangen, ihn umarmen, ihn in dich aufnehmen? Du verkaufst deine Seele, wenn du dich ihm hingibst. Sprich mir nach: ›Gott erbarme sich mir armem Sünder.‹«
Ali konnte ihn kaum noch verstehen. Die disharmonische Musik, die höllischen Bilder trieben sie immer mehr dem Wahnsinn entgegen. Ihr habt mich belogen! rief sie dem Mysterium, rief sie Mally und Lewis zu, ehe sie im Wahnsinn versank. Ihr habt mich belogen. Ihr habt mir erzählt, das Mysterium sei gut, aber ihr habt gelogengelogengelogen ...
»Das Böse zählt Legionen!« rief der Kapuzenmann. »Aber es gibt nur einen Sohn Gottes. Nimm ihn zu deinem Erretter, Kind!«
Ein Mahlstrom gewalttätiger und lüsterner Bilder wirbelte durch Alis Kopf, als sie dem Wahnsinn verfiel. Sie klammerte sich an die Worte des Kapuzenmannes, doch als er den Namen Christi aussprach, sah sie nur Jesus am Kreuz auf dem Kalvarienberg vor sich. Sein Körper war übersät mit Wunden, seine Augen waren voll Schmerz und Trauer, und Blut rann über die Stirn unter der Dornenkrone auf seinem Haupt.
Sie fand keinen Trost in diesem Bild. Es war immer dasselbe - Gewalt und Schmerz. Wenn Christus der Erretter war und die Menschen ihm all dieses antun, ihm soviel Leid
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