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Grünmantel

Grünmantel

Titel: Grünmantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles de Lint
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werden ...«
    »Es ist das wilde Mädchen«, sagte Valenti. »Sie hat sich Ali gegriffen - und sie wird auch dafür bezahlen, wenn ihr etwas zustößt.« Er wandte sich wieder an die Dorfbewohner. »Und das gilt für alle von euch - habt ihr mich verstanden? Wenn Ali etwas zustößt, seid ihr alle dran.«
    »Bitte«, flehte Lewis. »Wir wollten ihr doch nichts Böses. Das ist noch nie ...«
    »... zuvor geschehen, ich weiß«, beendete Valenti den Satz. »Das haben Sie mir vorhin schon mal erzählt. Ich will Ihnen was sagen: Es wird auch nicht noch einmal geschehen, capito? Dieser babau , dieser Popanz wird nicht noch mal ein Kind stehlen - nicht, solange ich ein Wörtchen mitzureden habe.«
    Als Valenti auf den Stein zuging, packte Bannon ihn am Arm. »Was hast du vor? Willst du dem Ding nachrennen?«
    »Hast du eine bessere Idee?«
    »Wie ich die Sache sehe, haben wir zwei Möglichkeiten. Wir warten hier, bis es zurückkommt, oder wir kehren zu deinem Haus zurück. Sobald Ali von dem Wesen freikommt, wird sie zu dir kommen. Wir würden uns doch nur verirren, wenn wir jetzt wie Verrückte durch den Busch rennen.«
    »Klar. Aber was ist, wenn sie irgendwo in den Wäldern von seinem Rücken fällt? Wenn sie verletzt dort liegenbleibt?«
    »Das Mädchen ist doch bei ihr.«
    Valenti schüttelte den Kopf. »Dem traue ich nicht.«
    »Ich glaube nicht, daß Ali etwas Schlimmes zustoßen wird. Nicht, solange der Hirsch bei ihr ist. Hast du denn nichts gespürt, als er auftauchte?«
    »Ich bleibe hier - die ganze Nacht, wenn es nötig sein sollte«, bot Lewis an. »Und wenn sie zurückkommt, bringe ich sie zu Ihrem Haus.«
    »Sie sind doch schuld an dieser beschissenen Situation. Wenn Sie nicht gewesen wären ...«
    »Nun mach mal halblang, Tony. Du redest Unsinn. Niemand will Ali was zuleide tun. Wenn du nur einen Moment lang nachdenkst, erkennst du das auch.«
    Ehe Tony etwas erwidern konnte, waren plötzlich wieder leise Flötenklänge zu hören - keine aufpeitschende oder feierliche Musik, sondern nur eine traurige Folge von Tönen, die nicht einmal eine richtige Melodie ergaben. Doch sie reichten aus, daß Valenti sich wieder erinnerte, was er empfunden hatte, als die Musik in voller Stärke ertönte. Sie reichten aus, um seine Sorge um Alis Wohlergehen zu beschwichtigen. Er drehte sich nach Tommy um, als die Töne verklangen, doch der Blick des Jungen war so leer wie zuvor. Keiner zu Hause, dachte Valenti und atmete tief durch.
    »Gut, gehen wir heim.«
    Bannon nickte. Er wandte sich an den alten Mann, aber bevor er etwas sagen konnte, redete Valenti. »Hören Sie, vielleicht habe ich mich etwas vergessen, aber ich mache mir Sorgen um die Kleine. Sie bedeutet mir sehr viel.«
    »Ich verstehe«, antwortete Lewis. »Hätte ich gewußt, daß so etwas passiert, hätte ich Sie nie eingeladen, mit uns zum Stein zu kommen.«
    Valenti nickte.
    »Sollte sie hierher zurückkommen, werde ich sie zu Ihnen bringen«, versicherte Lewis.
    »Danke. Wir werden Sie ebenfalls benachrichtigen, wenn sich bei uns etwas tun sollte.« Valenti sah seinen Begleiter an. »Machen wir uns auf den Heimweg, Tom.«
    Hinter ihnen am Stein setzte Tommy die Flöte wieder an die Lippen. Doch jetzt ertönte eine andere Weise als zuvor. Die Musik erzählte von Reue, von verlorenen Dingen, nicht von der Verehrung des Mysteriums. Die traurigen Klänge begleiteten die beiden Männer auf ihrem Weg zu Valentis Haus.

KAPITEL ZWÖLF
    Frankie war völlig erschöpft, als sie vom Highway abbog und das letzte Stück Straße bis zu ihrem Haus unter die Räder nahm. Erschöpft und deprimiert. Leichenhallen, Hospitäler, Friedhöfe - das alles nahm sie ziemlich mit.
    Ihr taten Bobs Eltern leid und ganz besonders Joy, doch hätte sie nicht eine Minute länger bei ihnen bleiben können, ohne laut schreien zu müssen. Die Leute konnten nichts dafür. Es war nur so, daß die Stunden in der Leichenhalle zusätzlich zu der unruhigen Nacht zuvor - als sie vor Furcht kaum ein Auge zugetan hatte - sie völlig geschlaucht hatten. Ihre Nerven waren so angespannt, daß sie jeden Moment zu reißen drohten. Sie wollte sich nur noch in ihr Bett fallen lassen und im Schlaf alles vergessen: ihre Angst vor Earl, das Flattern ihrer Nerven, ihre Depression ... Vielleicht sah am Morgen alles besser aus.
    Sie fuhr die Straße hinauf, die zu Valentis Haus führte, und wollte schon in ihre Einfahrt einbiegen, als ihr Ali einfiel. Du liebe Güte, ihr Zustand war ja noch schlimmer, als sie

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