Grünmantel
selbst geglaubt hatte! Sie hatte den Fuß schon vom Gas genommen, trat aber plötzlich hart auf die Bremse. Ein alter Pick-up stand neben der Zufahrt zu ihrem Haus.
Der Sitzgurt schnitt ihr in die Schulter, als sie nach vorn flog, warf sie aber wieder in den Sitz zurück. Der Motor stotterte und erstarb. Sie schaltete Zündung und Scheinwerfer aus und starrte auf den Truck.
Während der Fahrt von Ottawa nach Hause war die Dämmerung der Nacht gewichen. Das Haus war dunkel. Alles war dunkel - und still, jetzt, nachdem der Motor nicht mehr lief. Dafür kam ihr das eigene Atmen um so lauter vor. Sie konnte die Umrisse des Pick-up kaum erkennen, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
Das ist bestimmt Earl, dachte sie. Der Teufel sollte ihn holen! Ihr fiel wieder ein, was Tony ihr am Morgen erzählt hatte, und sie mußte daran denken, welche eigenen Erfahrungen sie mit Earl gemacht hatte. Aber in diesem Moment war sie so wütend, daß sie ihre Furcht vor ihm vergaß. Er würde auf gar keinen Fall wieder in ihr Leben treten! Und auch nicht in das Leben von Ali. Und ganz sicher würde er keinen einzigen Cent von dem Wintario-Geld bekommen!
Sie löste den Sitzgurt, öffnete die Wagentür und stieg aus. Mit ihren Pumps hatte sie Schwierigkeiten, sich einigermaßen sicher auf der unebenen Straße zu bewegen, obwohl die Absätze nicht allzu hoch waren. Erst als sie fast neben dem Truck stand, fragte sie sich, was in Gottes Namen sie da eigentlich machte. Glaubte sie etwa, sie könnte Earl aufhalten? Sie hielt sich mit der Hand an der Ladeklappe des Tracks fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, und eine Welle von Furcht durchströmte sie. Was sie da tat, war nicht sonderlich klug, sagte sie sich. Gar nicht klug.
Sie fuhr sich mit der Hand nervös durchs Haar. Klug wäre es, zu Tony rüberzugehen und mit ihm und seinem Freund Tom zurückzukommen.
Sie wollte sich schon umdrehen, als sie vom Führerhaus her ein Geräusch hörte. Ein Schatten erhob sich neben dem Vorderrad und wurde zu einem ausgewachsenen Mann. Frankie konnte kaum noch atmen vor Angst. Sie wich zurück, doch der Schatten folgte ihr. Da war ein Klingeln in ihren Ohren - und noch etwas anderes. Sie brauchte einen langen Augenblick, um zu erkennen, was es war: die Musik von Alis Band, aber diesmal in natura und nicht auf einem magnetischen Band gespeichert.
»Ich will meinen Hund zurück, Lady.«
Die Stimme des Mannes überraschte sie. Für einen Moment fühlte sie sich erleichtert, daß es nicht Earls Stimme war, aber die Furcht kehrte sofort wieder zurück. Wer war dieser Kerl?
»Ih ... Ihren Hund?«
»Ich suche ihn schon die ganze Zeit, Lady. Er heißt Dooker. Sie geben ihn mir besser, sonst ...«
Frankie wich weiter zurück. »Hören Sie, ich weiß nichts von Ihrem Hund. Oder sieht es so aus, als hätte ich einen ...?«
Sie stieß gegen die Front ihres eigenen Wagens. Jetzt konnte sie nirgends mehr hin. Der Mann folgte ihr, bis er dicht vor ihr stand.
»Ich will ihn wiederhaben, Lady.«
Sein übler Atem streifte ihr Gesicht. Als er sie an der Schulter packte, entfuhr ihr ein leiser Schrei.
»Bitte ...«
Er schüttelte sie grob. »Ich will dich ... ich will dich ...«
Frankie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, doch vergebens. Sie hörte immer noch diese seltsame Musik aus dem Wald herüberwehen, leise und entfernt, doch gleichzeitig unmittelbar. Die Musik machte sie schwach und stark zugleich. Ein Teil von ihr erlag zwar ihrem Zauber, doch war ihre Furcht vor dem Mann stärker.
Sie wollte das Knie anziehen, aber der Rock war zu eng, um ihrem Stoß die nötige Wucht geben zu können. Sie traf zwar seinen Unterleib, doch statt sich zusammenzukrümmen, grunzte der Kerl nur. Er verstärkte seinen Griff um ihre Schulter, hob sie plötzlich ein Stück hoch und warf sie auf die Motorhaube ihres Wagens. Mit einer Hand drückte er sie nieder, die andere Hand zerrte an ihrem Rock.
»Will dich haben«, knurrte er.
Lance wartete an dem speziellen Platz am Bach, wo er mit dem alten Dook immer hingefahren war. Er war inzwischen der Ansicht, daß Dook nicht tot war - wieso sollte er auch seinen eigenen Hund erschießen? -, und der Hund war auch nicht entlaufen. Nicht Dooker! Er war gestohlen worden. Die Tochter des alten Treasure - sie hatte seinen Hund, da gab’s kein Wenn und Aber. Dort hatte er damals zum erstenmal die Musik gehört. Sie benutzte die Musik, um den alten Dook einzufangen, genauso, wie sie versuchte, ihn
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