Grusel Box: Drei Mystery-Thriller (German Edition)
Archers Stimme handelte.
»Archer?«, fragte Mama Bet. Ihr faltiges Gesicht war angespannt.
»Mutter«, sagte das Ding. Der Lehm wogte, verzog sich und für den Bruchteil einer Sekunde erschien das Gesicht des Predigers mit seinen ausdrucksvollen Augen, die über sie hinweg streiften wie der Lichtstrahl eines Leuchtturms über die unruhige See.
Linda wich vor dem Prediger zurück, während sie Ronnie hinter ihrem Rücken verborgen hielt. Der Prediger wandte sich ihr mit seinem Lächeln zu und dann wurde das Fleisch wieder zu verdorbenem Schlamm.
»Linda, gib mir den Jungen«, befahl das Ding.
Sie schüttelte den Kopf, sprachlos und betäubt.
»Gib mir den Jungen«, wiederholte es.
Frank hob das Gewehr.
»Du musst es töten, Frank«, sagte Sheila hinter ihm.
Wie konnte man das töten?
Aber er zielte trotzdem, legte den Gewehrschaft an seiner Schulter an und blickte den Lauf entlang. Das Gewehr wog eine halbe Tonne und er fühlte sich, als ob er noch immer unter Wasser wäre.
»Gib mir den Jungen«, sagte das Ding zum dritten Mal.
Mama Bet fiel vor dem Schlammhaufen auf die Knie.
»Du ... du bist nicht Archer«, sagte Linda.
»Spielt es eine Rolle, welches Gesicht Gott zur Schau trägt?«, sagte das Ding mit Archers weicher und verführerischer Stimme. »Du hast es versprochen. Und ich verlange so wenig.«
Linda wich noch ein paar Schritte zurück. »Nicht so«, sagte sie. »Du bist nicht Archer. Du bekommst mein Baby nicht.«
Der Schlammhaufen erzitterte und ließ Tropfen von sich auf das Podium fallen. Die Klümpchen ringelten sich wie Würmer auf dem fleckigen schwarzen Engel, der die Bodenbretter färbte.
»Opfer sind die Währung Gottes«, sagte es. »Und Ronnie ist das Opfer.«
»Ich lasse nicht zu, dass du ihn umbringst«, sagte Linda.
Das Ding gurgelte ein Lachen. »Oh, ich werde ihn nicht umbringen. Du wirst es tun. Darum geht es beim Opfern. Eine Gnade ist besser erwiesen als empfangen.«
Linda blickte ihren Jungen an, dessen Augen voller Tränen waren.
»Mom?«, flüsterte Ronnie. Er schluckte schwer.
Frank kämpfte gegen die seltsame Schwerkraft an, die ihn wie eine dicke Haut umgab. Er konnte es töten. Sicher, denn er stammte von den alten Familien ab. Er hatte das Recht. Es war seine Pflicht.
»Tu es«, flüsterte Sheila in sein Ohr, ein wenig zu enthusiastisch.
Frank erinnerte sich daran, dass es so geschienen hatte, als ob der Gewehrkolben durch ihre Wange gedrungen war, und daran, dass sie viel zu lange unter Wasser gewesen war. Dass sie Archers Worte auf eine schaurige und ehrfürchtige Art und Weise wiederholt hatte.
Er blickte zu ihr zurück. Für einen Augenblick, so kurz, dass er es vor seinem jüngsten Anfall von Irrsinn für eine Illusion gehalten hätte, hatte sie Archers Augen, tief und braun und voller Geheimnisse. Sie blinzelte sie zurück zu blau.
»Du hast gehört, was Samuel gesagt hat«, flüsterte sie, während sie ihre Augen auf den zitternden Lehmhaufen gerichtet hielt. Ihre schwärmerischen Augen, ihre Augen, die mit einer fremden und tiefen und unmenschlichen Liebe erfüllt waren. Einer Leidenschaft, die über das Fleisch hinausging.
Sie gehörte nun Archer.
Franks Kehle war wie zugeschnürt.
Sie alle gehörten Archer. Sie hatten ihm immer gehört. Frank hatte gekostet und es für süß befunden. Er hatte seinen Weg in die rote Kirche geschluckt und er hatte das Monster in sein Herz gelassen. Und er hasste seine eigene Schwäche fast so sehr, wie er Archer hasste.
Ja, er konnte es töten.
Aber als sich sein Finger am Abzug spannte, wogte der Schlamm erneut und schrumpfte. Samuel stand vor ihm mit flehenden Augen.
»Du kannst es tun, Frankie«, sagte sein toter Bruder. Der Junge zog einen Wurm aus dem Mund und hielt ihn in die Höhe. Er wand sich zwischen den weißen Fingern.
Samuel führte den Wurm zurück in seinen Mund und kaute geräuschvoll. »Archer hat mich gegessen, weißt du. Er isst uns alle.«
Dann erblühte Samuel auf scheußliche Weise in die Masse aus fauligem Lehm.
Archer wollte getötet werden.
Als ob es ihm irgendwie größere Macht geben würde, wenn er von jemandem, der zu ihm gehörte, getötet wurde. Genauso wie Judas Jesus verraten hatte. Die Söhne Gottes benötigten immer einen Verräter. Auch wenn Frank nicht mehr an Gott glaubte, war das genau die Logik, die über ein wahnsinniges Universum herrschte.
Und er würde nicht gehorchen. Er würde Archer nicht geben, was er – oder es , was immer es auch war – am meisten
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