Guardians of Eternity 10 - Gefaehrtin der Ewigkeit
gerade als er sich darauf vorbereitet hatte, zu seinem Clan in Nevada zurückzukehren, hatte Kassandra, die Prophetin, behauptet, ihn in einer ihrer Visionen gesehen zu haben.
Nun war er gezwungen, sich in diesem gottverlassenen Palast aus Marmor und Gold aufzuhalten, und dermaßen gelangweilt, dass er sich schon einzubilden begann, sich zu einer winzigen Hexe hingezogen zu fühlen.
»Nur weil diese verdammte Prophetin …«
»Vorsicht, Roke«, unterbrach ihn Styx. Seine Macht war mit warnenden Nadelstichen durchsetzt. »Diese ›verdammte Prophetin‹ gehört zu meiner Familie.«
Kassandra war die Schwester von Styx’ Gefährtin Darcy. Beide waren reinblütige Werwölfinnen, aber sie verdienten durchaus Respekt.
»Ich verehre die Prophetin wie jeder andere. Aber nur, weil sie mich in einer ihrer Visionen gesehen hat – die Götter wissen, wie lange das schon her ist –, bedeutet das noch lange nicht, dass ich in Chicago gefangen sein muss«, stellte Roke klar.
»Gefangen?«
Rokes Fangzähne schmerzten. Er musste unbedingt irgendetwas beißen.
Oder irgendjemanden.
Vielleicht eine winzige Frau mit Haaren in den Farben des Herbstes, intensiven braunen Augen und dem süßen Duft von Pfirsichen …
Nein, verdammt noch einmal.
Er wandte sich um, um das Mary-Cassatt-Gemälde anzufunkeln, das gerahmt an der Wand hing. Allerdings gelang es ihm nicht, sein Unbehagen vor Styx zu verheimlichen. Der uralte Vampir war nicht nur deshalb zum Anasso geworden, weil er das größte Schwert besaß.
»Ich muss bei meinem Clan sein.«
»Kassandra hat keine zufälligen Visionen«, rief Styx Roke mit wachsender Ungeduld ins Gedächtnis. »Es muss sich um etwas von Bedeutung handeln.«
Roke schob seine Hände in die vorderen Taschen seiner Jeanshose. »Euer Versteck ist nicht das Zentrum des Universums. Etwas Bedeutendes kann sich ebenso leicht in Nevada ereignen.«
Eine lange Pause folgte, und Roke spürte Styx’ prüfenden Blick auf sich ruhen.
»Roke, gibt es da etwas, wovon ich wissen sollte?«, fragte er. »Irgendeinen Grund, weshalb Ihr so begierig seid abzureisen?«
»Ich wollte bereits seit dem Tag abreisen, an dem ich hierherkam«, rief Roke seinem Gegenüber in Erinnerung. In seinen Worten lag genügend Wahrheit, um den beharrlichen Vampir von seiner Fährte abzulenken. »Darüber hinaus hatte die Prophetin keine andere Vision mehr. Vielleicht liegt das, was auch immer geschehen soll, noch Jahre in der Zukunft.«
»Bis wir wissen, worin die Gefahr besteht, gestatte ich es Euch nicht, Euch außerhalb unseres Schutzes zu bewegen.«
»Ich gebe bereits seit sehr langer Zeit auf mich selbst acht«, murmelte Roke.
»Nun habt Ihr uns.«
»Also kann ich mich wohl glücklich schätzen.«
Styx ließ schwer seine Hand auf Rokes Schulter fallen. »Da habt Ihr ganz recht.«
Nefri ignorierte Santiago, als sie mit rasender Geschwindigkeit die Küche verließ und die schmale Treppe hinaufstürmte.
Nein, das stimmte nicht ganz.
Wer konnte schon einen Mann ignorieren, der über einen Meter achtzig groß und ihr direkt auf den Fersen war, während sie durch den engen Flur eilte? Insbesondere, da er vor Verlangen danach, sie hinter sich zu schieben und die Führung zu übernehmen, beinahe zitterte. Ein typischer Mann mit einem großen Schwert und einem noch größeren Ego, der immer die Verantwortung tragen wollte.
Vielleicht wollte er sie aber auch einfach nur beschützen, flüsterte eine verräterische Stimme in ihrem Hinterkopf.
Es gelang ihr mit Leichtigkeit, diese Stimme zu unterdrücken, als der Gestank verwesenden Fleisches beinahe überwältigend stark wurde.
»Dios« , murmelte Santiago. »Was hat der Gargyle bloß getan?«
Unvermittelt bog Levet um eine Ecke. Seine graue Haut wirkte im Mondlicht kreidebleich. »Ich habe überhaupt nichts getan, abgesehen davon, dass ich einen Raum ausfindig gemacht habe, der durch einen Illusionszauber versteckt war«, sagte er zu seiner Verteidigung.
Santiago stieß einen angewiderten Laut aus. »Daher haben wir den Gestank nicht schon kilometerweit wahrgenommen.«
Nefri murmelte einen uralten Fluch vor sich hin, erzürnt darüber, dass sie sich von Santiagos Eintreffen hatte ablenken lassen. Sie hatte zu viel Zeit hinter dem Schleier verbracht. Die Ruhe und der Frieden, die dort herrschten, und das stetige Gefühl, sich in Sicherheit zu befinden, hatten ihre Sinne weniger sensibel und sie nachlässig werden lassen. »Ich hätte schon bei meiner Ankunft hier nach
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