Gucci war gestern: Bekenntnisse einer eingebildeten Glamour-Queen, oder warum Sie nie mit Ihrer Pradatasche aufs Arbeitsamt gehen sollten (German Edition)
und die neueste Ausgabe holen.
Ich laufe die vier Stockwerke unserer bekloppten orangeroten offenen Treppe hinunter, die zum Atrium unseres Hauses führt. Als ich vorhin Fletch zum Abschied an der Tür einen Kuss gegeben habe, lag sie noch da, aber jetzt ist sie spurlos verschwunden. Wo kann die bloß hin sein? Um in das Atrium zu kommen, muss man zwei verschlossene Türen passieren, also ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass irgendein dahergelaufener Gammler sie im Vorbeigehen geklaut hat. Bestimmt hat einer meiner Nachbarn sie versehentlich mitgenommen. Tja, was soll’s. Dann hole ich mir eben eine neue am Zeitungsstand gegenüber. Halb so schlimm.
Eine verschwundene Zeitung? Kein Problem. Zwei verschwundene Zeitungen? Ein kleines Versehen. Aber FÜNF verschwundene Zeitungen? Von denen die Leute beim Kundenservice des Journal schwören, sie seien ganz bestimmt ausgeliefert worden? Fletch meint, ich sollte mal beim Hausmeister nachfragen, vielleicht hätten die Putzfreuen sie beim Saubermachen weggeworfen. Ja, klar. Sehr plausible Erklärung. Ich weiß so sicher wie das Amen in der Kirche, dass einer meiner Drecksnachbarn in diesem verfluchten Haus MEINE ZEITUNG MITGEHEN LÄSST. Und wenn ich den erwische, der kann was erleben. Wie kann er es wagen, einem kirchenmausarmen, arbeitslosen Mädel die Zeitung zu klauen? Alle, die hier wohnen, sind stinkreich. Der Parkplatz vor unserer Tür sieht aus wie der Ausstellungsraum eines BMW-Händlers. Wir haben ein paar Ärzte im Haus und einen ganzen Haufen Anwälte. Und dann ist da noch die Tussi aus 2C, die ist Geschäftsführerin des einzigen Dot-Com-Unternehmens, das je Profit abgeworfen hat, mit Mercedes und Silikonbusen, also weiß ich, dass DIE es sich ganz bestimmt leisten kann, sich ihre eigene Zeitung zu kaufen, verdammt noch mal. Die haben Nerven, diese Leute. Einfach fremde Zeitungen mitgehen zu lassen! Wie schäbig ist das denn?
»Das muss AUF DER STELLE aufhören«, knurre ich die Kundendienstmitarbeiterin an, die das Pech hat, mich beruhigen zu sollen.
»Ma’am, ich kann nur noch mal sagen, dass ich Ihre Verärgerung gut verstehen kann und das Ganze sehr bedauere. Wir haben Ihrem Konto die fehlenden Ausgaben gutgeschrieben, und Sie brauchen natürlich keine davon zu bezahlen«, entgegnet die verstörte Kundenberaterin. Seit einer Woche schlägt sie sich nun schon mit mir herum. Ich nehme an, sie hat irgendwann beim Knobeln gegen ihre Kollegen verloren.
»Ich verstehe einfach nicht, warum der Zeitungsbote die Zeitung nicht direkt vor meine Wohnungstür legen kann. Ich würde ihm ein großzügiges Trinkgeld geben, also helfen Sie mir bitte zu verstehen, wo genau das Problem liegt, Himmel noch eins.«
»Ma’am, wie ich bereits versuchte, Ihnen zu erklären, haben unsere Zusteller große Routen zu bewältigen, da können sie nicht vier Stockwerke hochlaufen, nur um Ihnen persönlich die Zeitung zu übergeben.«
»Können die das Ding nicht einfach hochwerfen? In Lanny dreht auf schafft es der Zeitungsjunge, jeden Tag John Cusacks Garagenfenster einzuwerfen, dabei ist er bloß ein kleiner Pimpf. Wollen Sie also behaupten, Sie beschäftigen ein Heer von spaghettiarmigen Weicheiern, die alle wie Mädchen werfen und keine Zeitung schmeißen könnten, selbst wenn es um ihr Leben ginge? Hm, wollen Sie das damit sagen?«
»Ma’am. Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll.«
»Okay, dann beantworten Sie mir doch bitte folgende Frage: Was würde passieren, wenn ich einen meiner Nachbarn dabei erwische, wie er sich meine Zeitung unter den Nagel reißt? Gilt das als Diebstahl? Kann ich ihn dafür verhaften lassen?«
Einen Augenblick ist sie ganz still, dann atmet sie tief durch und entgegnet: »Theoretisch ja, denke ich, aber Ma’am, müssen Sie nicht noch eine Weile mit Ihren Nachbarn auskommen? Wäre es dann nicht ziemlich unangenehm, sich irgendwann auf dem Flur zu begegnen?«
Schnell gehe ich im Geiste diejenigen Nachbarn durch, die ich persönlich kenne. Würde es mir leidtun, einen von denen zu vergrätzen? Mal sehen, die Typen aus 1A gehen mir auf den Keks, weil sie zur Begrüßung ihrer Gäste immer kleine Schildchen an ihre Tür pappen. Klar, hört sich erstmal nach einer netten, harmlosen Geste an, bloß benutzen sie Schmierpapier, um ihre keinen Zettelchen zu kritzeln, weshalb man durch die Glastür von außen das Getippte auf der Rückseite ihrer Schilder lesen kann. Warum können die nicht einfach ein leeres Blatt nehmen? Wären das die
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