Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
Endspiel eines Turniers.«
»Erinnern Sie sich noch an das genaue Datum?«
»Ich glaube, es war der zwanzigste oder einundzwanzigste August.«
»Etwa einen Monat vor dem Raubüberfall.«
»Ja, das könnte stimmen.«
»Kannten Sie die Spieler der gegnerischen Mannschaft?«
»Den einen oder andern, nicht alle.«
»Betrachten Sie das Foto bitte noch einmal und sagen Sie mir, welche Spieler der anderen Mannschaft Sie erkennen.«
Er nahm das Foto in die Hand und studierte es, indem er den Zeigefinger über die Gesichter der Fußballer gleiten ließ.
»Den hier kenne ich, aber ich weiß nicht, wie er heißt. Der hier heißt, glaube ich, Pasquale... an den Nachnamen erinnere ich mich nicht. Der da...«
Er machte ein seltsames Gesicht, drehte sich verwundert nach mir um und betrachtete dann wieder das Foto.
»Haben Sie noch jemanden erkannt?«
»Der hier... ähnelt...«
»Wem?«
»Er ähnelt ein wenig dem auf dem Foto...«
»Sie meinen den Mann, den Sie im Album vom Polizeipräsidium erkannt haben?«
»Ja, ein wenig ähnelt er ihm. Natürlich ist es nach so langer Zeit nicht einfach...«
»Sie haben Recht, es handelt sich in der Tat um dieselbe Person. Erinnern Sie sich jetzt wieder?«
»Ja, könnte sein, dass es derselbe ist.«
»Gut, Sie erinnern sich also. Dann frage ich Sie: Würden Sie jetzt immer noch behaupten, dass der Mann, der an jenem Augustabend in der gegnerischen Fußballmannschaft spielte, derselbe war wie der, der an dem Raubüberfall teilnahm?«
»Na ja... wenn Sie mich so fragen... jetzt fällt mir das natürlich schwer.«
»Dafür habe ich volles Verständnis. Ich will meine Frage einmal anders formulieren. Als Sie überfallen wurden und in zwanzig Metern Entfernung den dritten Komplizen erblickten, war Ihnen da bewusst, dass es sich möglicherweise um denselben Mann handelte, gegen den Sie einen Monat zuvor Fußball gespielt hatten?«
»Nein, natürlich nicht… dafür war er einfach zu weit weg...«
»Richtig, dafür war er zu weit weg. Ich habe keine weiteren Fragen an den Zeugen, danke.«
Der Vorsitzende setzte einen neuen Termin an. Während er den Protokollführer die nächste Verhandlung aufrufen ließ, wandte ich mich um und suchte die junge Asiatin. Ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich sie entdeckte, denn sie saß nicht mehr dort, wo ich sie anfangs gesehen hatte. Sie stand jetzt dicht neben der Tür, bereit zu gehen.
Unsere Blicke begegneten sich kurz. Dann drehte sie sich um und verschwand in den Fluren des Gerichtsgebäudes.
2
D as Telegramm traf zwei Tage später ein. Mit der üblichen Formulierung
Der Strafgefangene, Herr Soundso, derzeit in Untersuchungshaft, beauftragt Herrn Rechtsanwalt Soundso mit seiner Verteidigung in der Sache Soundso. Er bittet ihn, ihn zur Besprechung im Gefängnis zu besuchen.
In diesem Fall hieß der Inhaftierte nicht Soundso, sondern Fabio Paolicelli, nannte die Nummer des Verfahrens und bat mich dringlichst , ihn im Gefängnis zu besuchen.
Fabio Paolicelli. Wer war das bloß? Der Name sagte mir etwas, aber ich kam nicht darauf, was. Das irritierte mich gewaltig, denn ich hatte schon seit einiger Zeit den Eindruck, mein Namensgedächtnis lasse nach. Darin sah ich ein besorgniserregendes Indiz für den Niedergang meiner geistigen Fähigkeiten. Was natürlich Unsinn war, denn ich hatte mir noch nie gut Namen merken können, mit zwanzig so wenig wie heute. Aber wenn man die vierzig überschritten hat, häufen sich die dummen Gedanken, und die harmlosesten Vorkommnisse werden zu bedrohlichen Alterserscheinungen.
Wie auch immer, ich zerbrach mir ein paar Minuten lang den Kopf und ließ es dann gut sein. Ich würde sowieso bald erfahren, ob ich diesen Kerl wirklich kannte, dazu brauchte ich ihn nur im Gefängnis zu besuchen.
Ich rief Maria Teresa herein und fragte, ob wir am Nachmittag Termine hätten. Sie meinte, Herr Abbaticchio sei angemeldet, aber der würde erst gegen Abend, kurz vor Büroschluss kommen.
In Anbetracht der Tatsache, dass es jetzt vier Uhr war, dass wir Donnerstag hatten und man inhaftierte Mandanten donnerstags bis sechs besuchen kann, vor allem aber in Anbetracht der Tatsache, dass ich nicht die geringste Lust hatte, die Prozessunterlagen für den nächsten Tag zu studieren, beschloss ich, Herrn Fabio Paolicelli kennenzulernen, der mich ja dringlichst zu sehen wünschte. So würden, wenigstens für diesen Nachmittag, einmal alle zufrieden sein. Mehr oder weniger.
Seit einigen Monaten fuhr ich Rad. Nach
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