Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
sie fest...« Bravo, Guerrieri, brillanter Rückschluss, dachte ich, noch während ich sprach.
»Nein, wir nicht. Die Ermittlungen werden nicht von Bari aus geführt, deshalb wird das jemand anderes übernehmen. Leute, die um einiges härter zulangen als wir. Und damit ist das Dienstgeheimnis für heute oft genug gebrochen. Wechseln wir das Thema und gehen essen.«
Wir gingen in ein Restaurant am Hafen. Es gehört einem Mandanten von mir, Tommaso, genannt Tommy. Einem, dem ich vor ein paar Jahren mal aus einer ziemlich üblen Lage geholfen hatte. Ich sagte Tommy, dass wir draußen sitzen wollten und keine Lust hätten, lange die Speisekarte zu studieren. Seine Antwort fiel erwartungsgemäß aus: Wir sollten uns überraschen lassen, er würde sich um alles kümmern.
Tommy brachte uns rohe Meeresfrüchte, gegrillten Fisch und Cremetorte, Letztere von seiner Mutter gebacken, die seit vierzig Jahren in der Küche arbeitete. Dazu tranken wir zwei Karaffen Weißwein. Zum Schluss stellte uns der Kellner noch eine Flasche eisgekühlten Zitronenlikör auf den Tisch, Carmelo zündete seine Zigarre an, und ich fand, dass mir eine Zigarette, eine einzige, auch nicht schaden könne, verdammt noch mal. Also winkte ich Tommaso herbei und fragte ihn, ob er mir eine Marlboro besorgen könne. Eine Minute später kehrte er mit einem ganzen Päckchen nebst Feuerzeug zurück. Er legte beides auf den Tisch und wollte wieder gehen.
»Nein, Tommy, ich will sie nicht alle«, sagte ich, während ich das Päckchen aufriss.
Er insistierte, meinte, vielleicht würde ich später Lust bekommen, noch eine zu rauchen. Ich dachte, dass ich später sicherlich Lust bekommen würde, noch eine zu rauchen. Und dann noch eine und noch eine. Und dass ich das Päckchen deshalb besser nicht behielt.
»Danke, Tommy. Eine reicht.«
Ich zündete mir die Zigarette an, rauchte sie schweigend und fragte Tancredi dann, ob er Lust hätte, sich eine Geschichte anzuhören. Er stellte keine Fragen, schenkte sich noch ein wenig Likör nach und lud mich mit einer Handbewegung ein zu beginnen. So kam es, dass ich ihm alles erzählte, von jenem Septembernachmittag bis zum letzten Akt vor wenigen Stunden.
Als ich mit meiner Erzählung fertig war, stellten die Kellner bereits die Stühle hoch, und außer uns war niemand mehr im Lokal. Am nächsten Morgen mussten wir beide zur Arbeit, aber trotzdem entschlossen wir uns zu einem Spaziergang auf der verlassenen Strandpromenade.
»Carmelo?«, sagte ich, nachdem wir etwa zehn Minuten schweigend nebeneinanderher gegangen waren.
»Ja?«
»Erinnerst du dich noch an Casablanca ?«
»Du meinst den Film?«
»Ja.«
»Klar erinnere ich mich.«
»Und weißt du noch den letzten Satz?«
»Nein. Die Szene habe ich noch vor Augen, aber an den Satz erinnere ich mich nicht mehr.«
»Er lautet: Louis, ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. «
Er blieb stehen und dachte ein paar Sekunden nach, als versuche er, hinter den genauen Sinn dieses Satzes zu kommen, um mir eine entsprechende Antwort geben zu können. Am Ende nickte er jedoch nur, ohne mich anzusehen.
Auch ich nickte, und dann torkelten wir nebeneinanderher, ohne noch etwas zu sagen, dem Stadtrand entgegen.
Dorthin, wo die Häuser, die Restaurants, die Leuchtschriften aufhören und nichts als der heitere, geheimnisvolle Schein der gusseisernen Laternen bleibt.
Die italienische Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel
»Ragionevoli dubbi« bei Sellerio editore Palermo.
Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100
Das für dieses Buch verwendete FSC-zertifizierte Papier Munken Premium
liefert Arctic Paper Munkedals AB, Schweden.
1. Auflage
Copyright © der Originalausgabe 2006 by Gianrico Carofiglio
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2007
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
Druck und Einband: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
eISBN : 978-3-894-80429-9
www.goldmann-verlag.de
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