Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
Natsu lachte nicht.
Sie sah sich kurz um, und als sie sicher war, dass außer uns niemand mehr im Saal war, gab sie mir einen Kuss.
Einen richtigen Kuss, meine ich.
»Leb wohl«, sagte auch sie, bevor sie im menschenleeren Flur verschwand.
Ich gab ihr fünf Minuten Vorsprung, dann machte auch ich mich auf den Heimweg.
49
D ie Fenster meiner Wohnung standen offen, und von der Straße drangen seltsam gedämpfte Geräusche herauf. Genau wie damals, vor vielen Jahren, als ich noch ein Kind war und man an Mainachmittagen zum Fußballspielen in den Park ging.
Ich legte eine CD auf und merkte erst nach mehreren Songs und etlichen Minuten, dass es die CD war, die Natsu und ich in der Nacht gehört hatten, in der sie das erste Mal zu mir gekommen war.
These days miracles don’t come falling from the sky.
Während ich die Musik hörte, trank ich einen Whisky mit Eiswürfeln und knabberte dazu gerösteten Mais und Pistazien. Danach duschte ich ausführlich mit kühlem Wasser und trocknete mich nicht ab, wanderte durch die Wohnung und genoss den Geruch des Duschgels auf meiner Haut, die Musik, das leichte Schwindelgefühl, das der Whisky in mir ausgelöst hatte, und die Kälteschauer, die mir die frische Brise verursachte, die durchs offene Fenster herein wehte.
Als ich trocken war, zog ich mich an, parfümierte mich sogar unnötigerweise, und verließ das Haus.
Die Luft war mild, und ich beschloss, vor dem Abendessen einen Spaziergang zur Piazza Garibaldi zu machen, wo das Haus stand, in dem ich als Kind mit meinen Eltern gewohnt hatte.
Dort angelangt, überkam mich ein Gefühl inniger Freude, während ich mich vom Strudel der Zeit forttragen ließ. Die Grünanlage der Piazza Garibaldi war an diesem Spätnachmittag im Mai dieselbe wie vor vielen Jahren, und zwischen den Fußball spielenden Jungen sah ich mich selbst als Kind und meine Freunde, in kurzen Hosen mit Hosenträgern und einem Supersantos- Fußball, den wir durch Zusammenlegen unseres Taschengelds im Laden an der Ecke erstanden hatten.
Ich setzte mich auf eine Bank und schaute den Hunden, Kindern und alten Leuten zu, bis es dunkel war und fast alle den kleinen Park verlassen hatten. Dann stand auch ich auf und machte mich auf die Suche nach einem Lokal. Ich schlenderte gerade in Richtung Meer, als mein Handy klingelte. Unbekannter Teilnehmer, stand auf dem Display.
»Ja, bitte?«
»Du hast es geschafft. Diesmal hätte ich wirklich keinen Cent auf dich gewettet.«
Ich brauchte ein paar Sekunden, bevor ich Tancredi antwortete, denn ich hatte ihn nicht gleich erkannt.
»Woher weißt du es?«
»He, Mann, ist dir klar, wer ich bin? Ich bin die Polizei, ich weiß, was in dieser Stadt los ist. Manchmal schon, bevor es sich überhaupt zuträgt.«
Während Tancredi sprach, überlegte ich mir, dass ich eigentlich gar keine so große Lust hatte, ziellos durch die Gegend zu laufen, allein zu Abend zu essen und mich womöglich allein zu betrinken.
»Bist du noch im Büro?«
»Allerdings. Aber ich denke, für heute mache ich den Laden dicht und verschwinde.«
»Hast du Lust, mit mir Abendessen zu gehen? Diesmal lade ich dich aber wirklich ein...«
Er meinte, er habe Lust, und wir verabredeten uns in einer halben Stunde an der Piazza del Ferrarese, dort, wo die Stadtmauer beginnt.
Wir kamen gleichzeitig an, aus entgegengesetzten Richtungen, aber beide pünktlich.
»Du hattest also Recht mit deiner Vermutung. Eigentlich müsste ich dir jetzt ein Kompliment machen.«
»Du wusstest genau, dass ich Recht hatte, andernfalls hättest du mir nicht geholfen. Und wenn du mir nicht geholfen hättest, wäre ich auf keinen grünen Zweig gekommen.«
Er war drauf und dran, irgendeinen Spruch zu klopfen, schien sich dann aber zu sagen, dass es kein guter Spruch gewesen wäre. Deshalb zuckte er nur mit den Schultern, bevor wir uns auf den Weg machten.
»Das Gericht will die Prozessakten sogar an die Antimafia-Behörde weiterleiten. Wegen Romanazzi und Macrì – für die beiden sieht es nicht gut aus. Und ich werde morgen als Erstes einen Waffenschein beantragen.«
»Das ist nicht nötig.«
»Natürlich ist das nötig. Wenn sie sich an irgendjemandem rächen wollen, bin ich der erste auf der Liste.«
»Wenn ich dir doch sage, dass es nicht nötig ist. Romanazzi, Macrì, sein Chauffeur und ihre Spezis werden in Kürze andere Sorgen haben.«
»Wie meinst du das?«
»Na ja, ich denke, sie werden bald einen längeren Urlaub antreten – auf Staatskosten.«
»Ihr nehmt
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