Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
die Ortung benützt wurden. Muss ich noch mehr sagen? Ist es abwegig anzunehmen, dass die Dealerbande nicht nur Rauschgift, sondern vorsichtshalber auch ein GPS in dem Fahrzeug versteckt hat, das bei der Zollkontrolle unentdeckt blieb? Ist diese Hypothese wirklich unsinnig? Ist es absurd zu vermuten, dass Macrì sich persönlich um die Abholung des Wagens gekümmert hat, weil er weitere Drogen, die sich möglicherweise in dem Fahrzeug befanden, oder auch dieses höchst kompromittierende Gerät an sich bringen wollte? Ein Gerät, das den Fahndern – wäre es entdeckt worden – die Telefonanschlüsse der Drogenhändler verraten hätte? Wie wäre sonst das Verhalten eines Anwalts zu erklären, der sich nicht nur um die Freigabe eines beschlagnahmten Fahrzeugs bemüht – was völlig normal wäre -, sondern dasselbe nach der Freigabe auch noch persönlich abholt, was gänzlich ungewöhnlich ist?«
An dieser Stelle musste ich mir gewaltsam verbieten, mich umzudrehen und nachzusehen, wer im Saal war. Ob es ein unbekanntes Gesicht gab, das mir verdächtig vorkam. Jemanden, den Macrì geschickt hatte, um zu kontrollieren, was ich sagte. Um sich sozusagen mit eigenen Augen von meiner Dummheit und von meiner geradezu sträflichen Risikobereitschaft zu überzeugen. Meine Zuhörer hielten die Unterbrechung wahrscheinlich für eine Kunstpause, wie man sie einlegt, um die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer wach zu halten.
Natürlich drehte ich mich nicht um. Aber als ich weitersprach, hatte ich ein ziemlich flaues Gefühl im Magen. Etwas, was schleichender Angst sehr nahe kommt.
»Ist das eine Phantasiegeschichte? Vielleicht, aber nur insofern, als sie aus der Aneinanderreihung mehrerer vernünftiger Annahmen resultiert.
Ist es eine absurde Geschichte? Mit Sicherheit nicht.
Vor allem aber ist es eine Geschichte, die schon öfter erzählt wurde, zumindest was die Art des Drogentransports betrifft. Unsere Drogenfahnder – und auch die anderer Länder – haben in der Vergangenheit bereits mehrere Fälle von Rauschgifthandel aufgedeckt, der nach demselben Muster abgewickelt wurde.
Sie könnten mir nun erwidern: Das behauptest du, Guerrieri.
Stimmt, das behaupte ich, aber Sie haben genügend Zeit, meine Behauptung zu überprüfen, wenn Sie an der Existenz dieses Modus operandi zweifeln; selbst im Beratungszimmer können Sie noch beschließen, die Beweisaufnahme wieder aufzunehmen, indem Sie etwa den Leiter des Rauschgiftdezernats der örtlichen Kriminalpolizei oder auch jeden anderen, in der Drogenszene tätigen Polizeibeamten zur Anhörung vorladen und sich von ihm bestätigen lassen, dass Fälle bekannt sind, in denen erwiesenermaßen so verfahren wurde.«
Ich sah auf die Uhr und merkte, dass ich seit einer Stunde redete. Zu lange.
Den Gesichtern der Richter entnahm ich zwar, dass sie mir noch folgten, aber lange würden sie es nicht mehr aushalten. Ich musste versuchen, zum Schluss zu kommen. Deshalb kehrte ich rasch zu den allgemeinen Themen zurück, zum Problem der Methode; zu meiner Version und zur Version des Staatsanwalts.
»Wo immer es möglich ist, nicht nur eine Geschichte, sondern eine Mehrzahl an Geschichten zu entwerfen, in denen das gesamte Indizienmaterial so untergebracht werden kann, dass sich ein erzählerisch stimmiges Bild ergibt, muss man sich damit abfinden, dass die Beweislage in diesem Verfahren fragwürdig ist. Dass das Urteil auf Freispruch lauten muss.
Denn eines steht nach meinem Dafürhalten außer Frage: Es geht hier nicht um einen Wettbewerb zwischen mehr oder weniger wahrscheinlichen Geschichten. In anderen Worten: Dem Staatsanwalt genügt es eben nicht, die wahrscheinlichere der beiden Geschichten zu präsentieren, um den Prozess zu gewinnen.
Um den Prozess zu gewinnen, oder anders ausgedrückt, damit es zur Verurteilung kommt, müsste er in der Lage sein, die einzige überhaupt in Frage kommende Geschichte zu erzählen, die einzige überhaupt in Frage kommende Erklärung des Beweismaterials zu liefern. Nicht so die Verteidigung: Sie braucht lediglich eine mögliche Erklärung zu liefern.
Ich wiederhole: Es geht nicht darum, wer den höchsten Grad an Wahrscheinlichkeit für sich verbuchen kann. Ich weiß gut, dass die Geschichte des Staatsanwalts wahrscheinlicher klingt als meine. Dass seine Version eher überzeugt, weil er sich auf einen Erfahrungswert berufen kann und ich nicht.
Aber dieser Erfahrungswert, oder besser diese von der Erfahrung diktierte Regel, ist nicht das Leben. Sie
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