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Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Titel: Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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daraus schloss ich, dass die Entscheidung nicht einstimmig getroffen worden war. Ich war überzeugt, dass der Vorsitzende sich für eine Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils eingesetzt, die anderen beiden jedoch auf Freispruch plädiert und ihn überstimmt hatten.
    Unter Aufhebung des angefochtenen Urteils spricht das Gericht Fabio Paolicelli von allen Vorwürfen frei. Die Verhandlung hat nicht zweifelsfrei ergeben, dass er mit Tatentschluss gehandelt hatte.
    Im Juristenjargon kann der Ausdruck »da kein Tatentschluss vorliegt« vieles bedeuten, auch ganz unterschiedliche Dinge. In diesem Fall bedeutete es, dass Paolicelli die Drogen zwar in seinem Wagen transportiert hatte – die Tat als solche lag also sehr wohl vor -, jedoch ohne sich dessen bewusst zu sein. Mithin, es fehlte die psychologische Komponente, die eine Tat erst zur Straftat macht. Der Vorsatz.
    Da kein Tatentschluss vorliegt.
    Freispruch.
    Augenblickliche Freilassung des Angeklagten, sofern er nicht wegen anderer Vergehen einsitzt.
    Mirenghi holte einen Moment Luft und las dann weiter. Es gab also noch etwas.
    »Im Übrigen verfügt das Gericht die Übermittlung des Urteils und der Verhandlungsprotokolle an die Antimafia-Abteilung des Kriminalamts zur weiteren Bearbeitung.«
    Das hieß, der Fall war noch nicht abgeschlossen. Das hieß, die Antimafia-Behörde würde sich mit meinem Kollegen Macrì und seinem Freund Romanazzi befassen müssen.
    Das hieß, ich bekam möglicherweise Ärger. Aber ich hatte nicht die geringste Lust, daran zu denken.
    Der Vorsitzende sagte, die Sitzung sei aufgehoben, und wandte sich zum Gehen. Auch Girardi wandte sich zum Gehen.
    Russo dagegen zögerte einen Moment. Er sah mich an, und ich sah ihn an. Sein Blick war lebhaft und ausdrucksvoll. Er stand kerzengerade da und wirkte zehn Jahre jünger – wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Bevor auch er sich zum Gehen wandte, neigte er ganz leicht den Kopf.
    Dann folgte er den anderen ins Beratungszimmer.

48
    S ie ließen Paolicelli aus dem Angeklagtenkäfig, ohne ihm Handschellen anzulegen, denn er war jetzt ein freier Mann, auch wenn es in der Vollzugsanstalt noch ein paar Formalitäten zu erledigen gab. Von den Wachbeamten umringt, kam er zu mir, stellte sich vor mich und umarmte mich.
    Ich erwiderte seine Umarmung, wie es sich gehört, klopfte ihm auf die Schulter und hoffte, es würde rasch vorübergehen. Nach mir umarmte er seine Frau, küsste sie auf den Mund und meinte, sie würden sich später zu Hause sehen.
    Sie fragte, ob sie ihn abholen solle, aber er meinte, nein, lieber nicht.
    Er wolle nicht, dass sie nur ein einziges Mal an diesen Ort zurückkehre. Er gehe lieber zu Fuß nach Hause, alleine.
    Er wolle sich innerlich darauf vorbereiten, die Kleine wiederzusehen – seine Kleine -, und ein Spaziergang sei dafür wie geschaffen.
    Außerdem sei Frühling. Es sei schön, im Frühling freigelassen zu werden, fügte er noch hinzu.
    Seine Unterlippe zitterte leicht, und seine Augen glänzten, aber er weinte nicht. Jedenfalls nicht, solange er noch im Gerichtssaal war.
    Dann meinte der Chef des Wachtrupps freundlich, sie müssten jetzt gehen.
    Ein älterer Beamter mit hartem Gesicht, blitzblauen Augen und einer Narbe, die von der Nase quer über die Lippen bis zum Kinn hinunter verlief, trat auf mich zu. Seine Stimme war rau von den vielen Zigaretten und den vielen Jahren, die er unter Dieben, Vergewaltigern, Dealern und Mördern verbracht hatte. Auch er ein Gefangener, der erst mit dem Tag seiner Pensionierung freikommen würde.
    »Kompliment, Avvocato. Ich habe Ihnen zugehört und alles verstanden. Den da«, er deutete auf Paolicelli, der sich bereits mit den übrigen Wachleuten entfernte, »haben Sie gerettet.«
    Dann eilte er seinen Kollegen hinterher.
    Und Natsu und ich waren wieder alleine. Das letzte Mal.
    »Was jetzt?«
    »Leb wohl«, sagte ich.
    Es kam gut raus, glaube ich. Lebewohl zu sagen ist schwierig. Man läuft immer Gefahr, pathetisch zu wirken, aber in diesem Moment traf ich den richtigen Ton.
    Sie sah mich lange an. Wenn ich ihr Gesicht ein wenig verschwimmen ließ und mir anstelle ihrer Augen zwei große, blaue Kreise dachte, konnte ich die kleine Midori sehen, wie sie ihn zwanzig Jahren aussehen würde.
    Im Jahr 2025. Ich verzichtete darauf, mir auszurechnen, wie alt ich im Jahr 2025 sein würde.
    »Ich glaube nicht, dass ich noch mal einen wie dich treffe.«
    »Das will ich doch hoffen«, erwiderte ich. Das sollte eine Art Scherz sein, aber

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