Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
hatte ich es dann angenommen. Darüber hätte ich mal mit meinem Psychiater sprechen müssen, falls ich einen gehabt hätte.
Während ich auf das Gerichtsgebäude zuradelte, befand ich, dass es der denkbar ungünstigste Vormittag war, diesen Menschen zu treffen: Er war zweifellos schuldig, eine Straftat begangen zu haben, die ich verabscheute, er war ein widerlicher Aufschneider, und vor allem trug er Collegeschuhe mit Troddeln.
Es gibt ein paar Fälle, in denen kenne ich kein Pardon. Dazu gehören Collegeschuhe mit Troddeln, aber auch diese Bändchen, an denen Lesebrillen baumeln, Cartier-Stifte, Geldklammern, Herrentäschchen aus Kunstleder, Strickjacken mit Zopfmuster, Herrenarmbänder aus massivem Gold und Atemspray.
Aus diesen Gründen war ich, als wir uns ein paar Minuten vor dem Termin vor dem Zimmer des Staatsanwalts trafen, nicht besonders versöhnlich gestimmt. Nach der Begrüßung und ein paar unaufrichtigen Floskeln (jedenfalls unaufrichtig, was mich betraf) teilte er mir mit, dass er große Zweifel habe, ob eine Verweigerung der Aussage das Richtige sei. Er fände es besser, alles Nötige zu erklären; eine Aussageverweigerung käme ihm vor wie ein Schuldeingeständnis, das passe eher zu einem Kriminellen, nicht zu einem Mann in seiner Position.
Und deine Position ist die eines alten Aufschneiders und akademischen Hinterwäldlers, dachte ich, während sich in mir eine völlig unverhältnismäßige Wut anstaute. Im Grunde hatte er nur einen legitimen Zweifel geäußert. Aber zu seinem Pech war er der falsche Mann zum falschen Zeitpunkt und vor allem mit den falschen Schuhen.
»Ich dachte, wir hätten das bereits besprochen, Herr Professor. Ich kenne die Staatsanwältin, und angesichts der Verhandlungsphase, in der wir uns befinden, wiederhole ich meinen Ratschlag: Berufen Sie sich auf Ihr Recht, die Aussage zu verweigern. Die Entscheidung liegt natürlich bei Ihnen, und wenn Sie sich anders verhalten wollen, kann ich es Ihnen nicht verbieten. Aber Sie sollten wissen, dass ich das für einen großen Fehler halten und gegebenenfalls auch mein Mandat niederlegen würde.«
Ich war selbst über meine Aggressivität erstaunt. Er blieb einen Moment lang stumm, perplex, beinahe verängstigt und wusste nicht, wie er reagieren sollte. Seine Baronenselbstherrlichkeit hätte ihn unter anderen Umständen zweifellos im gleichen Ton zurückbellen lassen, doch wir waren bei Gericht: Er war der Angeklagte und ich sein Anwalt. Das waren nicht die besten Voraussetzungen, um mir gegenüber den Starken zu spielen. Er seufzte.
»Na gut, Herr Anwalt, tun wir, was Sie sagen«, gab er schließlich nach.
Da ich nicht gerade ein Muster an Konsequenz bin, bekam ich jetzt Schuldgefühle. Ich hatte mich an ihm abreagiert, indem ich meine Machtposition ausgenutzt hatte, und das war etwas, was man nie tun darf. Mein Ton wurde milder und beinahe solidarisch.
»Das ist das Beste, Herr Professor. Danach sehen wir, was die Staatsanwaltschaft sagt, und wenn nötig, können wir immer noch ein Schriftstück aufsetzen, in dem wir alles aufschreiben, was der Verteidigung dienlich ist.«
Kurz darauf betraten wir das Zimmer der Staatsanwaltschaft, verweigerten die Aussage und waren fünf Minuten später wieder auf der Straße – ich auf dem Weg in die Kanzlei.
Ich schloss gerade mein Fahrrad ab, als ich auf dem Trottoir neben dem Hauseingang einen großen schwarzen Hund auf mich zukommen sah, dessen beeindruckende Silhouette mir bekannt vorkam.
Als ich ihn wiedererkannte, freute ich mich sehr. Baskerville. Das bedeutete, dass Nadia in der Nähe war, dachte ich, pfiff den Hund herbei und sah mich nach seiner Besitzerin um.
Die Bestie kam zu mir, stellte sich auf die Hinterpfoten und stützte die Vorderpfoten auf meine Brust. Sie wedelte wie verrückt mit dem Schwanz, und ich dachte – stolz auf meinen unerwarteten Erfolg als Hundefreund –, dass Baskerville und ich wirklich sehr schnell Freundschaft geschlossen hatten. Um die herzliche Begrüßung zu erwidern, begann ich ihn hinter den Ohren zu kraulen, wie in der Nacht, in der wir uns kennengelernt hatten.
Hinter den Ohren ?
Baskerville hatte doch nur ein Ohr! Und das bedeutete, dass dieses schwanzwedelnde Riesenvieh, das die Pfoten auf meiner Brust hatte und die Schnauze sehr nahe an meinem Gesicht, gar nicht Baskerville war. Ich schluckte, während ich den Gesichtsausdruck des Hundes studierte und herauszufinden versuchte, ob er mich nach der stürmischen Begrüßung töten und
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