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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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zerreißen würde. Aber das Vieh wirkte tatsächlich sehr freundlich und leckte mir sogar die Hände. Ich fragte mich langsam, wie ich mich aus der Umarmung lösen könnte, ohne meinen neuen Freund zu kränken, als ein schmächtiger junger Mann aufgeregt um die Ecke gerannt kam. Als er bei uns angekommen war, nahm er zuallererst den Hund an die Leine und zog ihn fort. Dann erklärte er mir keuchend: »Es tut mir ja so leid. Wir lassen ihn im Laden frei herumlaufen, aber ein Kunde hat die Türe offen gelassen, und da ist er weggelaufen. Er will immer ausreißen, er ist ein Welpe, noch nicht einmal ein Jahr alt. Ich hoffe, dass Sie nicht zu sehr erschrocken sind.«
    »Aber nicht doch«, log ich. In Wirklichkeit war es mir eiskalt den Rücken heruntergelaufen, als ich gemerkt hatte, dass der Hund nicht Baskerville war, aber ich fand es unnötig, dem jungen Mann jedes Detail zu erzählen.
    »Rocco ist ganz lieb, besonders zu Kindern. Wir wollten eigentlich einen Wachhund, deshalb haben wir einen Cane Corso genommen, aber ich glaube, er ist die Ausnahme von der Regel.«
    Ich lächelte verständnisvoll und fachmännisch, ohne etwas hinzuzufügen. Der junge Mann schien sehr mitteilsam zu sein, und ich wollte nicht, dass er sich aufgefordert fühlte, seine Lebensgeschichte einschließlich der Erfahrungen mit seinem ersten Goldhamster zu erzählen. Ich grüßte ihn und den Hund Rocco und machte mich wieder an meinem Fahrradschloss zu schaffen.
    Das Schloss rastete auf seine beruhigende, vertraute Art ein, und während ich mich aufrichtete, stellte ich fest, dass sich in der Zwischenzeit eine Idee in meinem Kopf breitgemacht hatte, die vorher nicht dagewesen war. Diese Idee schwirrte herum, so dass ich zwar wusste, dass sie da war, aber nicht, wie sie aussah oder gar, wie ich sie festhalten sollte.
    Ich versuchte zu rekonstruieren, was gerade passiert war.
    Der Hund war auf mich zugerannt, und ich hatte ihn mit einem Pfiff herbeigelockt, weil ich Nadia erwartet hatte. Daraufhin war der Hund an mir hochgesprungen, ich hatte ihn hinter den Ohren gekrault und bei dieser Gelegenheit festgestellt, dass er gar nicht Baskerville war. Einen Augenblick später war sein Besitzer aufgetaucht, der … Moment, Moment, Guerrieri, geh noch mal zurück .
    Ich hatte ihn hinter den Ohren gekrault und bei dieser Gelegenheit festgestellt, dass er gar nicht Baskerville war . Und in genau diesem Moment war mir die Idee in den Kopf gekommen. Ich versuchte mit aller Kraft, sie zu formulieren.
    Der Hund Pino, von mir auch Baskerville genannt, war daran zu erkennen, dass ihm ein Ohr fehlte. Er war folglich durch etwas identifizierbar, was nicht da war. Die Information bestand aus etwas, was nicht da war.
    Ein tiefsinniger Gedanke, versuchte ich mir sarkastisch zu sagen. Es misslang. Hier gab es wirklich etwas Wichtiges zu erkennen.
    Baskerville. Ein fehlendes Ohr. Durch etwas, was nicht da ist, versteht man etwas anderes. Aber was? Etwas, was nicht da ist.
    Baskerville.
    Sherlock Holmes.
    Der Hund hat nicht gebellt.
    Dieser Satz tauchte plötzlich in meinem Kopf auf und blinkte wie eine Neonreklame in einem verlassenen, geisterhaften Szenario.
    »Der Hund hat nicht gebellt« ist ein Satz von Sherlock Holmes aus Der Hund von Baskerville. Oder auch aus einem anderen Roman, ich musste nachsehen. Ich musste sofort nachsehen, auch wenn ich noch nicht recht wusste, warum.
    Ich ging hoch ins Büro. Von den anderen war keiner da, alle waren mit irgendwelchen Behördengängen und Erledigungen beschäftigt. Ich war froh, allein zu sein. Ich machte mir einen Kaffee, schaltete den Computer ein und gab bei Google ein: Holmes und der Hund hat nicht gebellt .
    Der Satz stammte nicht aus Der Hund von Baskerville , sondern aus Silberstrahl . Als ich die Inhaltsangabe las, fiel mir die Handlung wieder ein. Es ging um den Diebstahl eines Vollblüters, der aufgeklärt wurde, als Holmes erfuhr, dass der Wachhund nicht gebellt hatte. Was bedeutete, dass der Hund die Pferdediebe gekannt haben musste.
    Der Schlüssel zu diesem Rätsel bestand darin, dass etwas nicht passiert war. Etwas, was hätte passieren müssen und nicht passiert war.
    Was hatte das mit meinen Ermittlungen zu tun?
    Was fehlte, was hätte passieren müssen?
    Als die Antwort konkrete Formen annahm, löste sie ein Gefühl von Ekel aus wie ein Anfall von Seekrankheit.
    Ich nahm die Akte, holte die Liste von Manuelas Telefonverbindungen heraus und ging sie erneut durch. Und meine Idee bestätigte sich, das

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