Gullivers Reisen
schon von Jugend auf alle seine Gedanken in Anspruch genommen; er habe seinen Rahmen so eingerichtet, daß er den ganzen Sprachreichthum umfasse, und sogar das allgemeine Verhältniß berechnet, welches in Büchern hinsichtlich der Anzahl von Partikeln, Haupt- und Zeitwörtern und anderen Redetheilen stattfinde.
Ich bezeugte dieser ausgezeichneten Person meinen demüthigsten Dank für seine große Güte, mir die ganze Erfindung mitzutheilen, und versprach, im Fall ich je in mein Vaterland zurückkehre, würde ich ihm Gerechtigkeit, als dem einzigen Erfinder dieser wunderbaren Maschine, erweisen, deren Form und Einrichtung ich auf's Papier warf, wie beiliegende Abzeichnung beweist. Ich sagte ihm: obgleich es in Europa die Gewohnheit bei Gelehrten sey, die Erfindungen sich einander zu stehlen, so daß diese den Vortheil hatten, daß wenigstens ein Streit über das Eigenthum statt finde, so werde ich doch mit aller Vorsicht darauf hinwirken, daß er, ohne irgend einen Nebenbuhler, die Ehre derselben ausschließlich erlange.
Hierauf begaben wir uns in die Sprachschule, wo drei Professoren sich über die zweckmäßigste Methode, ihre Landessprache zu verbessern, beriethen. Das Projekt des Ersten bestand darin, die Rede dadurch abzukürzen, daß man die vielsylbigen Worte in einsylbige verwandle, daß man Verben und Participien auslasse; alle vorstellbaren Dinge seyen in Wirklichkeit nur Hauptwörter.
Das Projekt des Zweiten bezweckte die Abschaffung aller Wörter, und dies ward als eine große Verbesserung der Gesundheit wie der Kürze betrachtet. Denn es ist klar, daß jedes von uns gesprochene Wort eine Verminderung unserer Lungen durch Abreibung bewirkt, folglich auch die Verkürzung unseres Lebens zur Folge hat. Es wurde deßhalb folgendes Auskunftsmittel angeboten: da Worte allein in Zeichen der Dinge bestehen, sey es passender, wenn alle Menschen solche Auskunftsmittel bei sich herumtrügen, welche ein besonderes Geschäft bezeichneten, worüber sie sich unterhalten wollten.
Diese Erfindung würde allgemein geworden seyn, wenn sich die Weiber nicht mit dem Pöbel und den ungebildeten Menschen verbunden und mit einer Rebellion gedroht hätten, im Fall die Freiheit ihrer Zungen nach herkömmlicher Weise ihnen nicht verbliebe; der Pöbel ist ja ohnedem der unversöhnlichste Feind jeder Wissenschaft.
Die Klügsten und Weisesten jedoch befolgen die neue Methode, sich durch Dinge auszudrücken; die einzige Unbequemlichkeit, die sich daraus ergibt, besteht nur darin, daß ein Mann, dessen Geschäft sehr groß und von verschiedener Art ist, ein Bündel auf seinem Rücken mit sich herumtragen muß, wenn er nicht im Stande ist, sich einen oder zwei starke Bedienten als Begleiter zu halten.
Zwei dieser Weisen habe ich oft unter ihren Bündeln beinahe zusammensinken sehen, wie dies bei Hausirern in England wohl der Fall ist. Wenn sie sich in den Straßen begegneten, legten sie ihre Last nieder, öffneten ihre Säcke, und hielten ein stundenlanges Gespräch; alsdann füllten sie ihren Behälter auf's Neue, halfen sich einander, wenn sie die Last wieder auf den Rücken nahmen, und empfahlen sich. Für ein kurzes Gespräch mag Jeder seinen Bedarf in der Tasche oder unter dem Arme tragen, weil ihm weniger genügt. Zu Hause aber kann Niemand in Verlegenheit kommen. Deßhalb ist ein Zimmer, wo eine in dieser Kunst gewandte Gesellschaft zusammen kommt, mit allen Dingen angefüllt, welche Stoff zu diesem künstlichen Gespräch darbieten.
Ein anderer Vortheil, welcher sich aus dieser Erfindung ergeben muß, besteht darin, daß eine allgemeine Sprache erfunden würde, die man bei allen civilisirten Nationen verstände, bei denen Güter und Geräth sich gleichen, so daß man sich leicht in die verschiedenen Gewohnheiten würde finden können. Somit könnten Gesandte mit fremden Fürsten oder Staatsmännern leicht verhandeln, obgleich sie deren Sprache nicht verstanden.
Ich war auch in der mathematischen Schule, wo die Lehrer nach einer Methode unterrichten, von der man in Europa kaum einen Begriff hat. Satz und Beweis werden auf einer dünnen Oblate, mit gehirnartiger Tinktur aufgezeichnet, eingegeben. Der Schüler muß dieselbe schnell hinunterschlucken, und dann drei Tage lang nichts als Brod und Wasser essen. Ist die Oblate verdaut, so steigt die Tinktur in's Hirn, und führt dort den mathematischen Satz ein. Bisher hat aber der Erfolg sich noch nicht erwiesen, ein Umstand, der theilweise aus einem Fehler in der Quantität der
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