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Gullivers Reisen

Gullivers Reisen

Titel: Gullivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Swift
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Geringsten an der Gegenwart, weil ich auf keine Weise, nicht einmal dem Auslande Anstoß erregen wollte. Auch brauche ich dem Leser wohl durchaus nicht zu sagen, daß ich in Allem, was ich hier berichte, mein eigenes Vaterland nicht im Auge habe.
    Eine große Anzahl von Personen, die in dieser Hinsicht betheiligt waren, wurde herbeibeschworen und enthüllten mir, bei einer nur flüchtigen Untersuchung, eine solche Schande, daß ich ohne ernsten Tadel nicht darüber reden kann. Meineid, Unterdrückung, Verführung, Betrug, Kuppelei und ähnliche Gebrechlichkeiten wären noch unter den Schlichen am ehesten zu entschuldigen, und ich war auch so vernünftig, in Betreff derselben nachsichtig zu seyn. Als mir aber Einige gestanden, sie verdankten ihren Reichthum unnatürlichen Lastern; Andere ihrer Willfährigkeit Frauen und Töchter Preis zu geben; Andere dem Verrathe ihres Vaterlandes und ihres Fürsten; Einige der Vergiftung; eine größere Anzahl der Verdrehung des Rechts, um Unschuldige zu Grunde zu richten: so hoffe ich auf Verzeihung, wenn diese Entdeckung die große Verehrung ein wenig verminderte, die ich gegen Personen von hohem Range hege, weil diese mit der äußersten Achtung, die man ihrer hohen Würde schuldig ist, von uns, ihren Untergebenen, behandelt werden müssen. Ich hatte oft von großen Diensten gelesen, welche Fürsten und Staaten erwiesen wurden, und wünschte deßhalb die Personen zu sehen, welche jene Dienste geleistet hatten. Nach näherer Untersuchung wurde mir aber gesagt, die Namen fänden sich in keiner geschichtlichen Angabe, mit Ausnahme weniger, welche man als die schändlichsten Schurken und Verräther dargestellt hatte. Von den übrigen war mir kein einziger Name bekannt. Sie alle erschienen mit gesenkten Blicken und in den schlechtesten Kleidern; die Meisten sagten mir, sie seyen in Armuth und Schande und die übrigen am Galgen oder auf einem Schaffott gestorben.
    Unter Anderen sah ich einen Mann, dessen Fall mir als etwas besonderes erschien. An seiner Seite stand ein Jüngling von ungefähr achtzehn Jahren. Er sagte mir: Mehrere Jahre lang sey er der Befehlshaber eines Schiffes gewesen; in der Seeschlacht von Actium habe er das Glück gehabt, durch die Schlachtlinie des Feindes zu brechen, drei Hauptschiffe zu versenken und ein viertes zu nehmen. Dieses sey die einzige Ursache von des Antonius Flucht und des daraus sich ergebenden Sieges; der neben ihm stehende Jüngling sey sein Sohn, welcher in diesem Kampfe sein Leben verloren habe. Er fügte hinzu: Im Vertrauen auf sein Verdienst sey er nach Beendigung des Krieges nach Rom gegangen und habe am Hofe des August um Beförderung als Befehlshaber eines größeren Schiffes nachgesucht, dessen Commandeur in der Schlacht gefallen war; die Stelle sey jedoch, ohne Rücksicht auf seine Ansprüche, einem Knaben gegeben, der noch nie das Meer gesehen hatte, dem Sohn der Libertina , welcher einer Geliebten des Kaisers seine Aufwartung gemacht habe. Als er nun zu seinem eigenen Schiffe zurückgekehrt sey, habe man ihm Vernachläßigung des Dienstes zum Vorwurf gemacht; der Befehl über sein Schiff sey einem Lieblingspagen des Viceadmirals Publicola übertragen worden. Hierauf habe er sich auf ein kleines, von Rom weit entferntes Landgut zurückgezogen und dort sein Leben geendet.

    Ich war so neugierig, die Wahrheit dieser Geschichte zu erfahren, daß ich mir erbat, Agrippa , der Admiral in jener Schlacht, möchte heraufbeschworen werden. Dieser erschien und bestätigte mir den ganzen Bericht noch mehr zum Vortheil des Kapitäns, dessen Bescheidenheit einen großen Theil seines Verdienstes vermindert oder verheimlicht hatte.
    Ich erstaunte, Verderbniß in jenem Reiche, durch die Gewalt des eingeführten Luxus, so weit und schnell verbreitet zu erblicken, weßhalb ich mich über mehrere Parallelfälle in andern Ländern weniger wunderte, wo Laster jeder Art weit länger geherrscht haben, wo der ganze Ruhm, so wie auch der Raub, ausschließlich dem ersten Befehlshaber ertheilt ward, welcher vielleicht auch nicht den geringsten Anspruch für eines von Beiden hatte.
    Da jeder beschworene Geist in derselben Art vor mir erschien, wie es früher bei ihm, in der Welt, der Fall gewesen war, so erweckte dies bei mir den melancholischen Gedanken, das Menschengeschlecht sey in dem letzten Jahrhundert sehr entartet; die Blattern, unter jeder Benennung und mit allen Folgen, hätten jeden Zug der englischen Physiognomie entstellt, die Größe der Körper

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