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Gullivers Reisen

Gullivers Reisen

Titel: Gullivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Swift
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acht oder neun Generationen zu beschwören. Ich ward jedoch auf eine traurige und unerwartete Weise in meiner Erwartung getäuscht. Anstatt eines langen Zuges mit königlichen Diademen sah ich in einer Familie zwei Fiedler, drei muntere Hofleute und einen italienischen Prälaten, in einer andern einen Barbier, einen Abt und zwei Kardinale.

    Ich hege zu große Verehrung gegen gekrönte Häupter, um bei einem so kitzlichen Punkte länger zu verweilen, muß jedoch gestehen, daß ich mit einem großen Vergnügen den Gesichtszügen, wodurch sich einzelne Familien auszeichnen, bis auf die Originale nachspüren konnte. Ich konnte deutlich entdecken, weßhalb die eine Familie ein langes Kinn besaß, weßhalb eine andere zwei Generationen lang an Schurken, und noch zwei andere Menschenalter an Dummköpfen Ueberfluß gehabt hat; weßhalb eine dritte verrückt und eine vierte spitzbübisch wurde; woher es gekommen sey, was Polydorus Virgilius von einem gewißen großen Hause sagte: Nec vir fortis, nec foemina casta; wie Grausamkeit, Falschheit und Feigheit charakteristische Merkmale wurden, welche in gerader Linie, wie skrophulöse Geschwülste, auf die Nachkommenschaft übergingen. Auch durfte ich mich hierüber gar nicht wundern, als ich eine solche Unterbrechung der Geschlechter durch Pagen, Lakaien, Kutscher, Spieler, Fiedler, Schauspieler, Offiziere und Gauner sah.

    Vorzüglich empfand ich Ekel über neuere Geschichte. Als ich nämlich alle berühmtesten Personen an den Höfen der Fürsten seit hundert Jahren genau beobachtet hatte, fand ich, wie die Welt durch charakterlose Schriftsteller irre geführt wurde, welche die größten Kriegsthaten den Feiglingen, die weisesten Rathschläge den Thoren, Aufrichtigkeit den Schmeichlern, römische Tugend den Vaterlandsverräthern, Frömmigkeit den Atheisten, Keuschheit unnatürlichen Wollüstlingen, Wahrheit den Spionen und Angebern zuschreiben; wie viele unschuldige und ausgezeichnete Personen zum Tode oder zur Verbannung dadurch verurtheilt worden sind, daß mächtige Minister die Verderbniß der Richter und die Bosheit der Parteien benutzten; wie viele Schurken zu den höchsten Aemtern, des Vertrauens, der Macht, der Würde und des reichlichsten Einkommens erhoben wurden; welch ein Antheil an den Vorschlägen und Ereignissen der Höfe, Rathsversammlungen und Senate, Dirnen, Kupplern, Schmarotzern und Lustigmachern zuzuschreiben ist. Welch eine niedrige Meinung erlangte ich von menschlicher Weisheit und Rechtlichkeit, als ich die Quellen und Beweggründe der großen Revolutionen in der Welt, und die verächtlichen Zufälle, denen sie ihren Erfolg verdankten, erfuhr.
    Hier entdeckte ich die Schurkerei und die Unwissenheit derer, welche anekdotisch die geheime Geschichte zu schreiben behaupten, welche so viele Könige durch einen Becher Gift ins Grab schicken, welche die Unterredung zwischen einem Fürsten und Premierminister wiederholen, wobei kein Zeuge gegenwärtig war; welche die Gedanken und Kabinette der Staatssekretäre erschließen, und fortwährend das Unglück haben, sich zu irren.
    Hier entdeckte ich die wahren Ursachen vieler großen Ereignisse, welche die Welt überrascht haben; wie eine Buhlerin das geheime Boudoir, das geheime Boudoir einen geheimen Rath, der geheime Rath eine Senatsversammlung leitet.

    Ich hörte wie ein General in meiner Gegenwart gestand, er habe einen Sieg nur durch die Macht der Feigheit und des schlechten Benehmens gewonnen; wie ein Admiral erzählte, er habe aus Mangel an genügendem Einverständniß mit dem Feinde denselben geschlagen, ob er ihm gleich die Flotte verrathen wollte. Drei Könige behaupteten, sie hätten während ihrer ganzen Regierung niemals einen Mann von Verdienst befördert, wenn dies nicht durch Versehen oder durch die Verrätherei eines Ministers, dem sie ihr Vertrauen geschenkt, geschehen sey; sie würden dies auch nicht thun können, wenn sie wieder zum Leben erweckt würden; sie bewiesen in logischer Darlegung, der königliche Thron könne nie ohne Corruption erhalten werden, weil das entschiedene, vertrauensvolle und hartnäckige Temperament, welches der Mensch durch die Tugend erhalte, den Staatsgeschäften ein ewiges Hinderniß bieten werde.
    Aus Neugierde erkundige ich mich hauptsächlich durch welche Verfahrungsart eine große Anzahl Menschen hohe Ehrentitel und werthvolle Landgüter erworben hätten, und ich beschränkte meine Fragen auf eine Zeit, die uns noch sehr neu ist; ich kratzte jedoch nicht im

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