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Gullivers Reisen

Gullivers Reisen

Titel: Gullivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Swift
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Greise, sondern noch eine weit größere Anzahl derselben, welche durch die furchtbare Aussicht, niemals zu sterben, bewirkt würden. Sie wären nicht allein eigensinnig, hölzern, habgierig, mürrisch, eitel und geschwätzig, sondern auch der Freundschaft unfähig und für jede natürliche Neigung erstorben, welche nie über ihre Enkel hinaus gehe. Neid und ohnmächtige Begierde seyen ihre überwiegenden Leidenschaften. Hauptsächlich betreffe jedoch ihr Neid diejenigen Gegenstände, welche Laster bei dem jüngeren Geschlecht und Tod bei dem älteren veranlaßten. Gedächten sie der früheren Zeiten, so fänden sie zugleich, daß ihnen jede Möglichkeit des Vergnügens abgeschnitten sey; sähen sie ein Begräbniß, so beklagten und beneideten sie, daß Andere in den Hafen der Ruhe gelangten, von welchem sie selbst auf ewig ausgeschlossen sind. Sie erinnern sich, fuhr der Herr weiter fort, nur an diejenigen Dinge, die sie in ihrer Jugend und in ihrem Mannesalter beobachteten, und auch in diesem Punkte ist ihr Gedächtniß sehr unvollkommen. Was aber die Wahrheit und die Einzelnheiten einer Thatsache betrifft, so ist es besser, sich auf die gewöhnliche Tradition, als auf ihr Gedächtniß zu verlassen. Die unglücklichsten unter den Struldbruggs sind diejenigen, welche kindisch werden und ihr Gedächtniß verlieren; diese erlangen mehr Mitleid und Hülfe, weil sie viele schlechte Eigenschaften, welche man bei den Uebrigen findet, nicht besitzen.
    Wenn ein Struldbrugg ein Weib aus seiner Art heirathet, so wird die Ehe nach dem Gesetz des Königreichs aufgelöst, sobald der jüngere Theil das achtzigste Jahr erreicht hat. Nach dem Rechte wird es nämlich für eine billige Nachsicht gehalten, daß denjenigen, welche ohne ihre Schuld dazu verdammt sind, fortwährend in der Welt zu leben, ihr Elend, durch die Last eines Weibes, nicht verdoppelt werde.
    Sobald sie das achtzigste Jahr erreicht haben, werden sie als gesetzlich todt betrachtet. Ihre Erben succediren sogleich in ihren Gütern; nur eine kleine Summe wird für ihre Ernährung zurückbehalten, und die ärmeren werden auf Kosten des Staates ernährt. Nach dieser Zeit dürfen sie kein Amt, mit oder ohne Gehalt, verwalten, sie dürfen kein Grundstück kaufen oder pachten; auch wird ihnen nicht erlaubt in irgend einem Civil- oder Kriminal-Proceß als Zeuge aufzutreten, nicht einmal bei der Entscheidung über Gränzen und Marken.
    Im neunzigsten Jahre verlieren sie Zähne und Haare; in diesem Alter fehlt ihnen bereits der Geschmack; sie essen und trinken was sie erhalten können, ohne Vergnügen und Appetit. Die Krankheiten, an denen sie früher litten, dauern fort, ohne sich zu vermehren oder zu vermindern. Beim Sprechen vergessen sie die gewöhnlichsten Benennungen der Dinge und die Namen der Personen, sogar derjenigen, welche ihre nächsten Freunde und Verwandte sind. Aus demselben Grunde können sie sich nicht mehr mit Lesen vergnügen, weil ihr Gedächtniß vom Anfange des Satzes bis zum Ende nicht mehr ausreicht; hiedurch werden sie der einzigen Unterhaltung beraubt, deren sie sonst noch fähig seyn könnten.
    Da die Landessprache fortwährenden Veränderungen unterworfen ist, so verstehen die Struldbruggs des einen Zeitalters nicht mehr die eines andern. Auch sind sie nach zweihundert Jahren nicht mehr im Stande, irgend ein Gespräch mit ihren Nachbarn, den Sterblichen, zu halten, wenn man wenige Worte ausnimmt. Somit erleiden sie auch den Nachtheil, als Fremde in ihrem Vaterlande zu leben.

    Dies war der Bericht, so weit ich mich erinnern kann, der mir von den Struldbruggs gegeben wurde. Nachher sah ich fünf oder sechs von verschiedenen Zeitaltern, welche von einigen meiner Freunde zu verschiedenen Malen mir vorgeführt wurden. Obgleich man ihnen sagte, ich sey ein großer Reisender und habe die ganze Welt gesehen, hegten sie nicht die geringste Neugier um mir nur eine Frage vorzulegen. Sie baten mich nur, ich möge ihnen ein Slumskudask, oder ein Geschenk, zum Andenken geben, und dieses ist eine bescheidene Art des Bettelns, um das Gesetz zu umgehen, welches ihnen Bettelei streng verbietet, weil sie vom Staate unterhalten werden, obgleich sie nur eine sehr kärgliche Nahrung erhalten.
    Sie werden von jeder Volksklasse verachtet und gehaßt. Wenn ein Struldbrugg geboren wird, hält man dies für ein böses Vorzeichen. Man kann ihr Alter erfahren, indem man die Register um Rath fragt, welche jedoch nicht über tausend Jahre hinaus gehalten, oder wenigstens

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