Gullivers Reisen
führt, an deren nordwestlichem Theile die Hauptstadt Jeddo sich erhebt. Beim Landen zeigte ich den Zollbeamten meinen Brief des Königs von Luggnag an Seine Kaiserliche Majestät. Sie kannten das Siegel; es war so breit wie meine Hand. Auf demselben war ein König, welcher einen lahmen Bettler von der Erde aufhebt, dargestellt. Als die Beamten der Stadt von meinem Briefe gehört hatten, empfingen sie mich als einen Staatsminister; versahen mich mit Wagen und Dienern und ließen mich bis Jeddo verpflegen, wo ich eine Audienz erhielt und meinen Brief überreichte. Dieser ward mit vielen Ceremonien eröffnet und durch einen Dollmetscher dem Kaiser übersetzt, der mir auf Befehl seiner Majestät die Erklärung gab: ich möge meine Bitte aussprechen, was dieselbe auch betreffe, sie werde mir, aus Rücksicht für seinen königlichen Bruder in Luggnag, gewährt werden.
Dieser Dollmetscher war ein Beamter, welcher die Geschäfte mit den Holländern besorgte. Er vermuthete bald aus meinen Gesichtszügen, ich sey ein Europäer, und wiederholte deßhalb den Befehl des Kaisers auf holländisch, das er vollkommen verstand. Ich erwiderte, wie ich vorher beschlossen hatte: Ich sey ein holländischer Kaufmann, der in einem sehr entfernten Lande Schiffbruch gelitten habe; von dort sey ich zu Land und See nach Luggnag gereist, und endlich nach Japan eingeschifft worden. Ich wisse, daß meine Landsleute dort Handel trieben, und hoffe, durch einige derselben Gelegenheit zur Rückkehr nach Europa zu erlangen. Deßhalb erbitte ich mir die königliche Gunst, daß ich nach Nargasacki gebracht werde.
Hier fügte ich auch noch eine andere Bitte hinzu: Aus Rücksicht auf meinen Beschützer, den luggnagischen König, möge Seine Majestät die Herablassung zeigen, mir die meinen Landsleuten auferlegte Ceremonie zu erlassen, wonach sie das Crucifix mit Füßen treten müßten, Ich sey ja, ohne Absicht Handel zu treiben, durch Unglück in dies Königreich gerathen. Als diese letztere Bitte dem Kaiser übersetzt worden war, schien er ein wenig erstaunt und äußerte: Ich sey der erste meiner Landsleute, welcher in diesem Punkte Bedenklichkeiten geäußert habe; somit hege er Zweifel, ob ich ein wirklicher Holländer, und Verdacht, ob ich ein Christ sey. Wegen der Gründe, die ich angeführt, vorzüglich aber um dem König von Luggnag durch eine besondere Gunstbezeugung gefällig zu seyn, werde er bei meiner sonderbaren Laune sich nachgiebig erweisen. Die Angelegenheit müsse jedoch mit Geschicklichkeit ausgeglichen werden; seine Offiziere würden Befehl erhalten, mich passiren zu lassen, als sey dies durch Vergeßlichkeit geschehen. Er könne mir die Versicherung geben, daß meine Landsleute, die Holländer, mir den Hals unterwegs abschneiden würden, wenn sie dies Geheimniß entdeckten. Ich dankte durch meinen Dollmetscher auf die verbindlichste Weise für eine so außerordentliche Gunstbezeugung. Da nun einige Truppen damals nach Nagasacki marschirten, so erhielt der commandirende Offizier Befehl, mich dorthin in Sicherheit zu bringen, und außerdem noch besondere Instruktionen in Hinsicht des Crucifixes.
Am 9. Juni 1709 war ich in Nagasacki nach einer langen und verdrießlichen Reise angelangt. Ich machte bald Bekanntschaft mit einigen holländischen Matrosen der Amboyna von Amsterdam, einem starken Schiff von vierhundertundfünfzig Tonnen.
Ich hatte in Holland lange gelebt, weil ich in Leyden früher studirte, und verstand deßhalb die Sprache. Die Matrosen erfuhren bald, woher ich zuletzt gekommen war; sie erkundigten sich neugierig nach meinen früheren Reisen und nach meinem Lebenslauf. Ich brachte deßhalb eine Geschichte, so kurz und wahrscheinlich wie möglich, zusammen, verschwieg jedoch das Meiste aus meinem Leben. Ich kannte viele Personen in Holland, und konnte Namen für Verwandte leicht erfinden, von denen ich vorgab, sie beständen aus Leuten niederen Standes in der Provinz Geldern.
Ich hätte dem Kapitän Theodor Vangrult sehr gerne bezahlt, was er mir für die Reise nach Holland abgefordert haben würde. Als er aber erfuhr, ich sey ein Wundarzt, so begnügte er sich, mir die halbe Taxe der Ueberfahrt unter der Bedingung abzuverlangen, daß ich ihm in meinem Berufe diente. Ehe wir unter Segel gingen, wurde mir von einigen aus der Schiffsmannschaft die Frage vorgelegt, ob ich die oben erwähnte Ceremonie bereits ausgeführt hätte. Ich wich dieser Frage durch die allgemeine Antwort aus, ich habe den Kaiser und seinen Hof in
Weitere Kostenlose Bücher