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Gullivers Reisen

Gullivers Reisen

Titel: Gullivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Swift
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Außerdem hatte ich Lesen gelernt, und konnte mitunter schon einen ganzen Satz nothdürftig erklären, denn Glumdalclitch war sowohl zu Hause als auch in den Mußestunden auf unserer Reise meine Lehrerin gewesen. Sie hatte ein kleines Buch in ihrer Tasche mitgenommen, was nicht viel größer war, als bei uns ein Atlas; dasselbe war ein kurzer Katechismus für junge Mädchen, um ihnen die Religionsbegriffe beizubringen. Aus diesem Buche lehrte sie mich das Lesen und erklärte mir die Worte.

Drittes Kapitel.

    Der Verfasser kommt an den Hof. Die Königin kauft ihn von seinem bisherigen Herrn. Er disputirt mit den größten Gelehrten Seiner Majestät. Bei Hofe wird ein Zimmer für den Verfasser eingerichtet. Er erwirbt sich die Gunst der Königin. Er vertritt die Ehre seines Vaterlandes. Er zankt sich mit dem Zwerge der Königin.

    Leid und Mühseligkeiten, die ich jeden Tag ertragen mußte, bewirkten eine beträchtliche Veränderung in meiner Gesundheit. Je mehr Geld mein Herr durch mich erlangte, desto größer wurde seine Habsucht. Ich hatte bereits die Rundung meines Bauches verloren und war beinahe zum Skelett geworden. Der Pächter bemerkte dies, und vermuthete, ich würde in Kurzem sterben; er beschloß deßhalb, noch so viel Geld wie möglich durch mich zu erwerben. Während er dies überlegte, kam ein Sardral oder ein Kammerherr des Hofes auf Befehl desselben und gebot, mich sogleich zur Unterhaltung der Königin und ihrer Hofdamen in den Palast zu tragen.

    Einige derselben hatten mich schon gesehen und merkwürdige Dinge von meiner Schönheit, meinem feinen Betragen und meinem gesunden Verstande erzählt. Ihre Majestät war nebst ihrer Umgebung über mein Benehmen entzückt. Ich fiel auf die Knie und wollte den erhabenen Fuß küssen, allein die gnädige Fürstin reichte mir nur ihren kleinen Finger als ich auf dem Tische stand. Ich umarmte diesen Finger nun mit beiden Armen und legte in höchster Demuth die Spitze desselben an meine Lippen. Sie richtete an mich mehrere allgemeine Fragen über mein Vaterland und meine Reisen, die ich sehr deutlich und so kurz wie möglich beantwortete. Sie fragte: ob es zu meiner Zufriedenheit gereiche, wenn ich am Hofe lebe; ich verbeugte mich bis auf das Brett des Tisches und erwiderte demüthig: ich sey der Sklave meines Herrn. Stände ich jedoch zu meiner eigenen Verfügung, so würde es mir zum Stolze gereichen, wenn ich mein Leben dem Dienste ihrer Majestät widmete. Sie fragte alsdann meinen Herrn, ob er Willens sey, mich zu einem guten Preise zu verkaufen. Da er nun besorgte, ich würde keinen Monat mehr leben, so verlangte er tausend Goldstücke, die sogleich auf Befehl herbeigeschafft wurden, und wovon jedes Stück ungefähr die Dicke von achthundert portugiesischen Dukaten betrug. Berechnet man die Verhältnisse dieses Welttheils zu dem europäischen, und den damit zusammenhängenden Werth des Goldes, so betrug die Summe kaum so viel wie tausend Guineen in England. Hierauf sagte ich der Königin: da ich jetzt Ihrer Majestät demüthiger Sklave und Vasall sey, müsse ich um die Gnade bitten, daß Glumdalclitch , die mich stets mit so viel Sorgfalt und Güte gepflegt habe, und dies auch so trefflich verstände, ebenfalls in den königlichen Dienst treten und auch ferner meine Wärterin und Lehrerin bleiben dürfe.
    Ihre Majestät gewährte meine Bitte und erlangte ohne Mühe die Einstimmung des Pächters, welcher sich nicht wenig freute, seiner Tochter eine Stelle bei Hofe verschaffen zu können. Das arme Mädchen konnte aber ihr Entzücken nicht verbergen. Mein Herr entfernte sich hierauf, indem er von mir Abschied nahm und sagte, er habe mir einen sehr guten Dienst verschafft; worauf ich kein Wort erwiderte, sondern nur eine leichte Verbeugung machte.
    Die Königin bemerkte diese Kälte und fragte nach dem Grunde, sobald der Pächter das Zimmer verlassen hatte. Ich war so kühn Ihrer Majestät zu sagen, meinem bisherigen Herrn sey ich Dank nur deßhalb schuldig, weil er einem armen, durch Zufall auf dem Felde gefundenen Geschöpfe das Hirn nicht eingeschlagen habe; diese Verpflichtung werde aber durch den Gewinn, den er durch mich im halben Königreiche erlangt habe, und durch den hohen Ankaufspreis genugsam aufgewogen. Das Leben, welches ich seitdem geführt, sey so mühsam gewesen, daß sogar ein Thier von zehnfacher Kraft hätte unterliegen müssen. Meine Gesundheit sey durch die ewige Plackerei zur Unterhaltung des Pöbels untergraben worden; hätte mein Herr

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