Gurkensaat
du musst sie bloß wieder öffnen und schon kannst du hier rausspazieren.
Doch seine innere Stimme konnte nicht viel ausrichten. Hektisch fuhr er die Innenseite in Bahnen ab. Wo zum Henker war die Klinke? Als er weit im unteren Drittel angekommen war, schon vor der Tür hockte, sprang er auf und begann auf Schulterhöhe erneut mit der Suche.
Der Schweiß brach ihm aus. Ihm wurde klar, was passierte: Er hyperventilierte.
Johannes Gieselke zwang sich, die Atemzüge zu zählen, bewusst auszuatmen, sich mit dem nächsten Ringen nach Luft Zeit zu lassen. Immer ein bisschen mehr. Niemandem war geholfen, wenn er jetzt das Bewusstsein verlor! Er musste hier raus, seinen Vater finden und mit ihm den Klauen dieses pathologischen Monsters entkommen.
In unmittelbarer Nähe hörte er ein hysterisches Jaulen. Es kostete ihn einige Herzschläge, bis er erkannte, dass er die Quelle dieses jammervollen Tons war.
Warum konnte er diese verdammte Klinke nicht finden! Es gab im ganzen Haus seiner Eltern nicht einen Raum, der nicht auch von innen zu öffnen war! Langsam sickerte so etwas wie Gewissheit in sein Denken.
Wenn es bisher solch einen Raum nicht gegeben hatte, dann existierte er eben seit heute.
Noch einmal strich er am Türrahmen entlang von oben nach unten. Und tatsächlich. Diesmal fand sein Zeigefinger das Loch, in dem der Dorn hätte stecken müssen. Er beugte sich hinunter, schielte mit einem Auge in die Öffnung. Kein Licht. Nicht ein winziger Schimmer. Jemand hatte die Öffnung verschlossen!
Auf diesem Weg gab es kein Entkommen. Wahrscheinlich wurde sein Vater in einem der anderen Kellerräume gefangen gehalten.
In einem nachtfinsteren Loch.
Wo war er hier eigentlich? Seine Augen hatten sich inzwischen so weit an die Dunkelheit gewöhnt, dass er erahnen konnte, wie groß sein Verlies war. Seine Hände glitten über den Boden, über Fliesen und raue Fugen dazwischen. In neu aufkeimender Panik kroch er auf allen vieren zur Seitenwand. Auch hier Fliesen.
Es gab keinen Zweifel. Ein tiefes Schluchzen brach aus ihm heraus.
Er war im ›Schlachthaus‹!
66
Peter Nachtigall warf sich unruhig von einer Seite auf die andere. Dr. März hatte recht. Er hatte irgendetwas übersehen. Selbst wenn Sebastian Körbel der Mörder von Wolfgang Maul gewesen sein sollte, hatte er noch immer zwei ungeklärte Mordfälle innerhalb der Familie Gieselke.
Dabei wussten sie schon einiges über den Mörder. Zum Beispiel, dass er sich mit den Gewohnheiten der Familie auskennen musste, er hatte die Handynummer von Maurice, war wohl in den Augen des Jungen keine Gefahr. Er wusste, wie man unbemerkt ins Haus gelangen konnte, wo der Waffenschrank stand und wie er an den Schlüssel kam. Nach Annabelles Darstellung verstrich nur wenig Zeit zwischen Maurice’ Davonschleichen und dem tödlichen Schuss. Der Junge konnte demnach seinen Mörder nicht zum Waffenschrank geführt haben. So viele Leute kamen da gar nicht in Betracht.
Nachtigall drehte das Gesicht zur Wand.
Wer konnte schießen und wusste, wo der Schlüssel zum Waffenschrank aufbewahrt wurde? Die Kombination für den Safe musste er auch gekannt haben. Warum hatte der Täter ausgerechnet dieses Gewehr benutzt? Weil es das einzige war, dessen Handhabung er beherrschte? Seine Überlegungen kreisten ungebeten wieder um sein persönliches Schreckensszenario: Annabelle, die mit der Pumpgun in der Hand ins Arbeitszimmer schlich und kaltblütig ihren Bruder erschoss.
Ächzend ließ der Hauptkommissar sich auf den Rücken fallen.
Mühlbergs feine Freunde mochten ja noch für den Mord an Maurice zumindest als Denkmodel infrage kommen, aber für den Tod von Irma Gieselke schieden sie als Verantwortliche aus.
Emile hielt Johannes Gieselke für einen möglichen Kandidaten. Aber erst den Sohn und anschließend die eigene Mutter? So abgebrüht kam ihm der junge Mann gar nicht vor. Abgesehen davon hatte er für die Tatzeit ein Alibi. Gut, räumte er ein, das stammte von der Freundin, war also nicht wirklich viel wert. Aber immerhin hatten sie ihm bisher nicht das Gegenteil beweisen können.
Nachtigall knurrte und versuchte es mit der Bauchlage.
Auf der anderen Seite war es wirklich unwahrscheinlich, dass die Morde in keinem Zusammenhang stehen sollten. Und wie passte die alte Erpressungsgeschichte da hinein? Sicher war nur, Olaf Gieselke musste mehr über den Erpresser wissen, als er zuzugeben bereit war. Offensichtlich handelte es sich um jemanden aus seinem privaten Umfeld. Woher hätte er
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