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Gurkensaat

Gurkensaat

Titel: Gurkensaat
Autoren: F Steinhauer
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Kopfhöhe über die kalten Fliesen. Er würde eine Möglichkeit zur Flucht finden! Den Vogelmann, wie Annabelle ihn nannte, alarmieren und seinen Vater aus den Klauen des Psychopathen reißen.
    Seine Finger fanden kein Fenster.
    Ein unkontrollierbares Zittern erfasste seinen gesamten Körper. Er konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten.
    Du kommst hier nie wieder raus, hörte er seine innere Stimme voller Häme behaupten, die, wie ihm zum ersten Mal auffiel, der seines Vaters stark ähnelte. Nie mehr. Du wirst sterben, wie die anderen auch! Jemand wie du ist in einer solchen Lage rettungslos verloren!
    »Klar«, zischte er mit klappernden Zähnen, »MacGyver hätte jetzt einen Kugelschreiber und eine Zitrone in der Tasche, um damit die Tür wegzusprengen.«
    Aber er war eben nicht MacGyver.
    Johannes Gieselke atmete tief durch.
     
    Eine neue Idee schenkte ihm Hoffnung. Eine Bodenklappe. Sammelte seine Mutter die Tierreste nicht in einem Behälter in einem Raum darunter? Einer Art Kriechkeller im zweiten Untergeschoss? Solch eine Klappe konnte er nur finden, wenn er auf allen vieren durch das ›Schlachthaus‹ kroch, systematisch, planvoll. Bahn für Bahn. Rasch fiel ihm auf, dass der Boden nicht eben war. Von den Wänden fiel er zur Mitte hin ab.
    Schaudernd dachte er daran, warum das so war. Oh, nein! Mein Blut wird niemand von diesen Wänden spritzen!, nahm er sich hasserfüllt vor. Er würde siegen und Rache nehmen für das, was man ihm heute angetan hatte. Mein Blut gurgelt durch keinen Abfluss!, dachte er und fühlte sich zu seiner Überraschung ein wenig getröstet.
    Mit neuer Kraft erkundete er weiter das Terrain. Trotzte der zunehmenden Übelkeit. Der Gestank war beinahe überwältigend.
    Plötzlich, als er fast die Mitte erreicht haben musste, stieß sein Kopf dumpf gegen einen weichen Widerstand, der auswich und zurückschwang. Von einer Sekunde auf die andere war die helle Panik zurück.
    Blutgeruch hüllte ihn ein, er würgte. Es kostete ihn alle Überwindung, die er mobilisieren konnte, um nach dem Ding zu tasten.
    Entsetzt fühlte er rohes Fleisch unter seinen Finger. Klebrig, weich, typisch.
    Eine schreckliche Gewissheit.
    »Vater! Um Himmels willen! Er hat dich geschlachtet!« Sein hysterisches Jammern und Schreien wurde von den Wänden schrill zurückgeworfen, tanzte durch den Raum. Badezimmerakustik.
    Tränen stürzten über seine Wangen, tropften auf die Jacke. Er konnte sich nicht mehr beherrschen. Wozu auch? Es gab niemanden mehr, den es gestört hätte, dass er hemmungslos heulte wie ein Schwächling.
    Sein Vater war tot! Sohn, Mutter und Vater waren tot! Er war eine Vollwaise.
    Welcher verdammte Irre konnte dafür verantwortlich sein? Wer tat ihm das an?
    Seine Hände verirrten sich, berührten den erkalteten Leichnam. Stutzten. Das konnte nicht sein. Nein! Er wurde von einem unbeschreiblichen Gefühl der Erleichterung davongespült. Sein Vater? Hastig tastete er weiter. Kämpfte gegen ein wahnsinniges Lachen, das in ihm aufstieg. Schließlich gab er dem Drang nach, lachte, bis ihm der Atem ausging.
    Dies war nicht sein Vater!
    Es handelte sich um den Kadaver eines Keilers!

68
    Nach der vierten Tasse Kaffee strich Nachtigall entschlossen seine letzte Skizze durch. So kam er jedenfalls nicht zu einer Lösung.
    Neidisch sah er zu Casanova hinüber. Der Kater hatte sich auf dem Tisch zu einer kompakten Kugel zusammengerollt und beteiligte sich nicht mehr an der kriminalistischen Feinarbeit.
    Im Gegenteil. Es sah ganz so aus, als sei er über die Tüfteleien seines Menschen eingeschlafen.
    Nachtigall griff nach einem neuen Blatt Papier. Also noch einmal von vorn. Irgendjemand hatte ihn belogen, keine Frage. Aber wer? Erneut trug er sorgfältig zusammen, was er über die Personen wusste, die in diesen komplizierten Fall auf irgendeine Weise verwickelt waren.
    Es war normal, dass Zeugen versuchten, Dinge zu verbergen, die zu ihrem Nachteil hätten ausgelegt werden können. Sicher, im Fall Gieselke war das ebenso. Und bestimmt verfügte der eine oder andere auch über ein gewisses schauspielerisches Talent, täuschte Betroffenheit hier oder Erstaunen dort vor.
    Was wäre, wenn? So lautete die Frage, die er sich für jeden Einzelnen stellen musste. Was wäre, wenn Frau Gieselke sich regelmäßig mit einem Liebhaber traf? Wie würde Olaf Gieselke darauf reagiert haben? Mit Mord? Oder wäre es ihm gleichgültig gewesen?
    Nachtigall begann, neue Beziehungsgespinste zu entwerfen. Hatte der
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