Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gurkensaat

Gurkensaat

Titel: Gurkensaat
Autoren: F Steinhauer
Vom Netzwerk:
vorsichtigen Nicken. Wer waren denn die beiden nun wieder?
    »Annabelle hat sich eben nach dem Tod ihres Bruders zu diesen Freunden geflüchtet, die es nur in ihrer Fantasie gibt. Sie muss sich sehr, sehr verlassen gefühlt haben. Die Ärztin meinte, das sei sicher keine neue Entwicklung, Annabelle müsse das bereits früher so gehandhabt haben. Mir ist das wohl nur nicht aufgefallen.«
    Diesmal wählte sie ein undefinierbares Geräusch. Mochte er es als Zustimmung interpretieren.
    »Wenn sie übermorgen zurückkommt, wird die erste Zeit mit ihr bestimmt anstrengend«, erzählte er weiter.
    Übermorgen!
    Annabelle war schon immer anstrengend gewesen, das war nun wirklich nichts Neues. Bettina schoss eine Welle ungeahnter Hitze durch den Körper. Es war nicht richtig, so zu denken. Auch die Frage, warum nicht Annabelle getötet worden war, durfte sie nicht stellen – nicht einmal in Gedanken. Plötzlich bemerkte sie, dass Johannes ihr direkt ins Gesicht sah.
    »Weißt du, bevor meine Mutter sterben musste, dachte ich, es wolle jemand die männliche Linie ausrotten und so an den Namen kommen. Aber das kann nicht sein. Wir werden ganz besonders gut auf Annabelle aufpassen müssen«, mahnte er eindringlich.
    »Die männliche Linie der Gieselkes ausrotten? Warum sollte er dann ausgerechnet mit Maurice beginnen? Und wie passt der tote Gärtnergehilfe in diese Theorie?« Sie hörte, wie schnippisch ihre Stimme klang und räusperte sich. »Das ergibt doch keinen Sinn!« Auch dieser Zusatz kam schärfer als notwendig.
    Für einen kurzen Augenblick flatterten Johannes’ Lider. Vielleicht war er von ihrer Antwort irritiert. »Eine Verwechslung. Jemand hielt ihn für den Sohn der Familie«, antwortete er heiser, schüttelte aber sofort den Kopf. »Nein, das ist unwahrscheinlich. Er hat etwas Verdächtiges beobachtet und wurde zum unkalkulierbaren Risiko. Deshalb musste er sterben!«
    Bettina stockte der Atem. »Johannes! Wenn deine letzte Theorie zutrifft, bedeutet das, dass der Täter zum gewohnten Bild gehörte! Er fiel im Herrenhaus nicht auf!« Ihre Stimme kippte vor Aufregung in einen beinahe schmerzhaften Diskant. »Er ist Freund der Familie!«
    »Ja, genau das glaube ich nämlich. Es ist jemand, der uns alle töten will. Egal, welches Geschlecht und welches Alter wir haben«, wisperte er wie aus weiter Ferne.»Er macht Jagd auf alles, was den Namen Gieselke trägt!«
    »Wir müssen die Polizei informieren«, hauchte Bettina entgeistert.»Mein Gott, wer könnte deine Familie nur derart hassen?«
    »Da kommen durchaus mehrere infrage. Der neidische Mühlberg? Räumt auf, bevor er sich endgültig absetzt? Ein Konkurrent auf dem Gurkenmarkt, der hofft, er käme so an den Namen und das Rezept? Die Polizei brauchen wir nicht!« Johannes stand auf und straffte sich. »Mein Vater irrt sich oft, aber in einem Punkt hat er recht. Wir sind keine Weicheier. Ich werde jetzt rausfahren und mit ihm darüber sprechen. Er ist dann ja auch in Gefahr. Diese Angelegenheit lösen wir allein!«
    Als sie die Autotür zuklappen hörte, griff Bettina mit zitternden Fingern zum Telefon.

63
    Auf der Fahrt durchdachte Johannes Gieselke seinen Plan. Er war einfach, pragmatisch und schnörkellos. Genau aus diesem Grund würde auch nichts schiefgehen. Komplizierte Planungen, elegante Verstrickungen, all das barg nur das Risiko des Scheiterns. Und ein Scheitern konnten sie sich nicht leisten. Das würden sie mit dem Leben bezahlen.
    Er bewältigte die Strecke in 20 Minuten.
    Schon als er schwungvoll aus dem Wagen sprang, wurde ihm bewusst, dass etwas nicht stimmte, nicht so war, wie es hätte sein sollen.
    Johannes Gieselke blieb stehen.
    Kam er zu spät?
    Seine Augen wanderten die Fassade entlang. Er drehte sich um und sah die Straße hinunter. Nichts. Und dennoch spürte er, wie seine Nackenhaare sich sträubten und sich die feinen Härchen an den Armen aufstellten, als sei er in ein elektrisches Feld getreten.
    Irgendetwas war hier ganz und gar nicht in Ordnung. Und schlagartig fiel es ihm ein: Musik! Es war nichts zu hören! Nur wattige, erstickende Stille lag über dem ganzen Gebäude. Dabei hatte sich sein Vater schon vor Jahren angewöhnt, abends seine Lieblingsklassiker durch Haus und Garten dröhnen zu lassen. Gerade heute Abend wäre zu erwarten, dass er sich von dramatischer Musik wegspülen ließe. War die Anlage kaputt? Vorhin funktionierte sie noch tadellos. Beethovens Neunte.
    Im Arbeitszimmer – beim Gedanken an diesen Raum fuhr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher