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Gurkensaat

Gurkensaat

Titel: Gurkensaat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Steinhauer
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fürs Haus, nur für den Geräteschuppen. Es gibt noch eine Frau, die bei ganz aufwändigen Arbeiten ins Haus geholt wird. Frühjahrsputz, Weihnachtsvorbereitungen. Auch sie hat keinen Schlüssel. Außerdem kennt man sich schon seit 20 Jahren. Nein, nein, hier kommen wir nicht weiter«, nörgelte Skorubski.
    »Die Großeltern schließen aus, dass sie durch den Mord an Maurice getroffen werden sollten. Sie können sich niemanden vorstellen, der ihren Enkel töten wollte«, ergänzte Nachtigall.
    »Vielleicht doch eine Erpressung?« Wiener beugte sich interessiert vor.
    »Ich kann es nicht ausschließen. Aber beide Gieselkes haben das bestritten.« Nachtigall stand auf und sah auf die Straße hinaus. »Zur Sicherheit werden wir die Kontobewegungen überprüfen. Bei allen Familienmitgliedern, auch bei Richard Mühlberg«, sagte er mehr zu sich selbst.
    »Am meisten tut mir der Vater leid. Weißt du, er liebt, heiratet, zeugt Kinder, zieht sie auf – und dann kommt so ein falscher Freund und reißt alles an sich, nimmt ihm die Frau weg und den Sohn. Und jetzt hat er Maurice ganz verloren. Er ist wie vom Schicksal verfolgt, findet ihr nicht?«, fragte Wiener und die anderen beiden nickten. »Die Sachbearbeiterin hat mir erzählt, er habe bitterlich geweint, als er die Aussagen der Kinder gelesen hat«, setzte er hinzu.
    »Mir hat er erzählt, Mühlberg habe dem Jungen ein eigenes Pferd und einen Hund versprochen – nach dem Umzug nach Kanada.«
    »Und hier hatte der Junge so gut wie überhaupt kein Spielzeug«, stellte Wiener trocken fest.
    »Schluss für heute!«, verkündete Nachtigall und schob schwungvoll seinen Stuhl zurück.
     
    Auf dem Weg zum Auto traf er noch einmal mit dem Kollegen Wiener zusammen. »Michael, darf ich dich mal was fragen?«
    Der junge Ermittler nickte unsicher. Was konnte Peter Nachtigall von ihm wissen wollen, das einer solchen Einleitung bedurfte? Schließlich erkundigte er sich sonst auch ohne Umschweife nach neuen Protokollen oder Erkenntnissen zum Fall. Er legte den Kopf leicht schräg und wartete.
    »Mir ist aufgefallen, dass dein Badisch verschwindet. Da wollte ich mal hören, ob du vielleicht mit den Kollegen Schwierigkeiten bekommen hast. Ärger in der Kantine? Oder mit Peddersens Leuten vom Erkennungsdienst?«
    »Nein, keine Sorge. Alles in Ordnung.«
    »Ich möchte gern erfahren, wenn es solche Probleme gibt. Wir schätzen deine Arbeit im Team sehr und ich möchte nicht, dass solch unnötiges Gerede dich etwa vergrault. Verstehst du?« Nachtigall forschte im Gesicht seines Teamkollegen, hatte aber nicht den Eindruck, der versuche, etwas vor ihm zu verbergen.
    »Nein, nein. Mach dir keine Gedanken, niemand mobbt mich.« Wiener atmete aus und meinte dann: »Es ist wegen Marnie. Meine Herzensdame ist in diesem Punkt leider ziemlich unnachgiebig. Sie denkt, wenn man hier auf Dauer leben möchte, sollte man auf sprachliche Auffälligkeiten verzichten. Sie ist es einfach leid, ständig als ›Zugezogene‹ identifiziert zu werden.«
    »Also möchte sie auch, dass du nicht auffällst?«
    »Na ja, es ist eben so, dass mein Badisch dazu führt, dass die Leute sich nach uns umdrehen. Und da wir unverkennbar zusammengehören … Aber ich kriege es noch nicht richtig hin und so kommt’s Badisch halt immer wieder durch, gell«, schloss Wiener mit einem Grinsen in breitem Dialekt. »Und ehrlich gesagt, halte ich es insgesamt für einen ganz natürlichen Prozess. Wenn in deiner Umgebung alle anders sprechen und du dich bei den anderen wohl fühlst, schleift sich der Dialekt automatisch ab.«
    »Meinst du? Ich kenne auch andere Beispiele. Menschen, die ihre besondere Aussprache kultiviert haben.«
    »Klar, die kenne ich auch«, lachte Wiener. »Aber ich spreche ja ohnehin schon berufsbedingt schizophren. Damit die Zeugen mich verstehen und nicht ständig nachfragen müssen, verwende ich bei Befragungen immer Hochdeutsch. Im Grunde ist es für mich keine so große Umstellung mehr.«
    »Na, wenn das so ist!«
    »Ja, bestimmt. Marnie meint, sie habe hier endlich eine echte Heimat gefunden. Und das möchte sie auch mit ihrem Verzicht aufs Badische zeigen. Ich glaub nur, bei mir wird wohl was zurückbleibe. Wer soll sonscht unsere Kinder ihre Muttersproch beibringe? Stell dir vor, die besuchen später einmal ihre Großeltern und verstehen kein Wort!«
     
    Peter Nachtigall hatte es nicht eilig, nach Hause zu kommen. Flüchtig dachte er daran, dass er nicht der einzige Strohwitwer der Familie war.

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