Gurkensaat
Emile, der Partner seiner Tochter Jule, musste die kommenden zwei Abende auch ohne Gesellschaft verbringen.
»Aber ich bin sicher, er wird sich die Zeit schon sinnvoll vertreiben!«, zischte Nachtigall ungerecht vor sich hin.
Emile Couvier arbeitete als Fachmann für operative Fallanalysen, eine Art Profiler, für das LKA Brandenburg. Sicher, musste Nachtigall einräumen, auch wenn er das nur ungern tat, der junge Mann war in vielen Fällen eine Bereicherung des Teams und eine wertvolle Unterstützung bei den Ermittlungen gewesen – aber das änderte überhaupt nichts daran, dass Nachtigall ihn nicht mochte. Noch immer konnte er nicht begreifen, was seine Tochter an diesem geschniegelten Typen fand, dessen Kleidung stets perfekt saß, der ausnahmslos frisch und wach wirkte, dessen Haare jederzeit aussahen, als habe er sie von einem Starfriseur in Form bringen lassen – und sein After Shave passte dem Hauptkommissar auch nicht.
Jule hatte ihren Vater neulich geneckt, er sei nur eifersüchtig. Jugend sei nun mal vergänglich, damit müsse er sich abfinden. Nachtigall schüttelte abwehrend den Kopf, als er an dieses Geplänkel dachte. Da war nichts dran!
Bestimmt nicht.
Emile las bestimmt die ganze Nacht ein Fachbuch oder – und die Vorstellung amüsierte Nachtigall – er würde Jules Abwesenheit nutzen, um alle seine Schuhe zu putzen und die Anzüge zu bürsten.
Ob er vielleicht bei Sabine, seiner Schwester, vorbeifahren sollte?, überlegte der Hauptkommissar weiter. Bestimmt wäre das besser, als den Abend allein verbringen zu müssen und dabei ständig das Bild des toten Kindes vor Augen zu haben. Auf der anderen Seite war es unfair, Sabine ausgerechnet diesen Fall ins Wohnzimmer zu tragen, entschied er.
»Und außerdem sollte ich mich benehmen wie ein erwachsener Mann!«, schimpfte er vor sich hin. »Ich kann doch nicht jedes Mal unter den Rock meiner kleinen Schwester kriechen, wenn ich nicht glücklich bin.«
Auf der Fahrt nach Sielow kam er an mehreren Einkaufsmärkten vorbei, verlangsamte das Tempo und versuchte sich zu erinnern, was sein Kühlschrank noch zu bieten hatte. Salat war sicher noch da, ein bisschen Wurst, Käse und Eier. Das sollte reichen, beschloss er und fuhr am Kaufland vorbei. Um die Katzen musste er sich keine Gedanken machen, für die beiden war sicher gut gesorgt.
Müde und deprimiert stellte er den Wagen ab und schloss die Haustür auf. Sofort umstrichen zwei weiche Körper seine Beine und leises Maunzen deutete ihm die Wünsche der Hauskatzen Domino und Casanova an.
»Was für eine tolle Begrüßung! Ich sehe schon, wenn die Dame des Hauses nicht da ist, spiele ich eine viel gewichtigere Rolle in eurem Leben!«
Aus dem Wohnzimmer fiel ein sanfter Schein in den Flur. Nachtigall stutzte. Hatte Conny vergessen, das Licht auszuschalten? Das wäre zumindest untypisch. Die Haustür, fiel ihm plötzlich ein, die Haustür war auch nicht abgeschlossen gewesen!
»Sagt mal, meine Lieben, seid ihr etwa nicht allein?« Sollte Conny ihre Pläne geändert haben? Langsam bewegte er sich auf die Wohnzimmertür zu. Domino schmiegte sich fest an seine Waden und versuchte, ihn in die Küche abzudrängen. »Gleich«, flüsterte er der Katzendame zu und erkannte im selben Moment, dass jemand im Sessel vor dem Kamin saß. War das etwa seine geschiedene Frau Birgit, die schon einmal zur Unzeit in sein Leben geplatzt war und um ein Haar seine Beziehung zu Conny zerstört hätte? Unbändiger Zorn wallte in ihm auf. Diesmal würde er keine Sekunde zögern und sie einfach vor die Tür setzen. Er atmete tief durch und wollte gerade lospoltern, da sagte der ungebetene Gast: »Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe. Aber bei mir ist es so still. Und deine Katzen hatten kein Problem mit mir als unverhofftem Besucher – vielleicht sollten wir uns auch eine zulegen. Dann hat man wenigstens einen Gesprächspartner.«
»Oh, Emile! Du bist das!«, war das Einzige, was der überrumpelte Hauptkommissar stammeln konnte.
»Wahrscheinlich hast du dir deinen Feierabend etwas anders vorgestellt.« Emile stand auf und hielt den Kopf schuldbewusst gesenkt.
»Nun, mit dir hatte ich wirklich nicht gerechnet«, räumte Nachtigall ein und knurrte innerlich, als ihm bewusst wurde, dass er seinen Schwiegersohn völlig falsch eingeschätzt hatte. Vielleicht, tröstete er sich, hatten Väter manchmal einen verschobenen Blick auf den Neuen an der Seite ihrer Töchter. »Aber warum sollten wir nicht den Abend
Weitere Kostenlose Bücher