Gut gegen Nordwind
später
RE:
Werter Herr Sprachpsychologe, sollte sich irgendwann herausstellen, dass mein »Verdacht« begründet war, werde ich Sie mein Leben lang hassen!!!! Besser Sie sagen es gleich.
25 Minuten später
AW:
Was auch immer Sie in diese Stimmung versetzt hat, liebe Emmi, Ihre Sprache macht mir Angst. Ich will nicht Opfer Ihres präventiven blanken Hasses sein, der sich auf krause Gedanken und abstruse Reime in Ihrem von Misstrauen zersetzten Gehirn gründet. Reden Sie Klartext oder haben Sie mich gern! Ich bin jetzt wirklich wütend! Leo.
Am nächsten Tag
Betreff: Verrat II
Ich habe am Sonntag eine Freundin getroffen. Ich habe ihr von Ihnen erzählt, Leo. »Was macht er beruflich?«, hat sie mich gefragt. »Er ist Sprachpsychologe und arbeitet auch an der Uni«,habe ich geantwortet. Sprachpsychologe? Sonja war sehr überrascht. »Was macht er da?«, hat sie nachgefragt. Ich: Genau weiß ich es nicht, wir reden nicht über unsere Arbeit, nur über uns. Und dann fiel mir ein: Am Anfang hat er einmal etwas von einer Studie über die Sprache von E-Mails erzählt, mit der er gerade beschäftigt war. Es ist aber dann nie wieder ein Wort darüber gefallen. Daraufhin hat sich der Blick meiner Freundin Sonja plötzlich ziemlich verdüstert und sie hat wortwörtlich gesagt: »Emmi, pass auf, vielleicht studiert er dich nur!« Das hat mir einen gewaltigen Schock versetzt. Daheim habe ich sofort in unseren alten E-Mails nachgelesen. Und da finde ich am 20. Februar folgende Passage von Ihnen: »Wir arbeiten gerade an einer Studie über den Einfluss der E-Mail auf unser Sprachverhalten und – der noch wesentlich interessantere Teil – über die E-Mail als Transportmittel von Emotionen. Deshalb neige ich ein wenig zum Fachsimpeln, ich werde mich aber künftig zurückhalten, das verspreche ich Ihnen.«
So, lieber Leo, verstehen Sie jetzt, warum ich mich so fühle, wie ich mich fühle? LEO, STUDIEREN SIE MICH NUR? TESTEN SIE MICH ALS TRANSPORTERIN VON EMOTIONEN? BIN ICH FÜR SIE NICHTS ALS DER INHALT EINER KALTEN DOKTORARBEIT ODER SONST EINER GRAUSAMEN SPRACHSTUDIE?
40 Minuten später
AW:
Am besten, Sie holen dazu die Meinung von Ihrem Bernhard ein. Ich habe jedenfalls genug von Ihnen. Unter der Last Ihrer Emotionen würde ohnehin jedes Transportmittel einbrechen. Leo.
Fünf Minuten später
RE:
Nur weil Sie in den Gegenangriff übergehen, heißt das noch lange nicht, dass sich meine Sorge, von Ihnen sprachpsychologisch missbraucht zu werden, in Luft aufgelöst hat. Also bitte ich Sie um eine klare Antwort. Leo. Die sind Sie mir schuldig.
Drei Tage später
Betreff: Leo!
Lieber Leo, ich habe drei fürchterliche Tage hinter mir. Die Angst – ja, es war ein richtiger Panikanfall –, von Ihnen die ganze Zeit über für Studienzwecke verwendet worden zu sein, die hält sich die Waage mit der gegenteiligen Befürchtung: Vielleicht habe ich Ihnen Unrecht getan. Vielleicht habe ich durch meine vorschnelle Schuldzuweisung etwas zwischen uns zerstört. Ich weiß gar nicht, was schlimmer wäre, von Ihnen »betrogen« worden zu sein oder mit einer Attacke blinden Misstrauens unser behutsam angebautes und sorgsam gepflegtes Pflänzchen Vertrauen aus der Erde gehoben zu haben.
Lieber Leo, bitte versetzen Sie sich in meine Lage. Ich habe, das möchte ich Ihnen gestehen, schon lange mit niemandem so heftig Gefühle ausgetauscht wie mit Ihnen. Ich bin selbst am meisten darüber verwundert, dass das auf diese Weise möglich ist. Ich kann in meinen E-Mails an Sie so sehr die echte Emmi sein wie sonst nie. Im »wirklichen Leben« muss man, wenn es gelingen soll, wenn man den langen Atem haben will, ständig Kompromisse mit seiner eigenen Emotionalität eingehen: DA darf ich nicht überreagieren! DAS muss ich akzeptieren! DA muss ich darüber hinwegsehen! – Ständig passt man seine Gefühle der Umgebung an, schont die, die man liebt, schlüpft in die hundert kleinen Alltagsrollen, balanciert, tariert aus, wiegt ab, um das Gesamtgefüge nicht zu gefährden, weil man selbst ein Teil davon ist.
Bei Ihnen, lieber Leo, scheue ich mich nicht, so spontan zu sein, wie ich im Innersten bin. Ich überlege nicht, was ich Ihnen zumuten kann und was nicht. Ich schreibe einfach munter drauflos. Und das tut mir so wahnsinnig gut!!! – Und, das ist Ihre Leistung, lieber Leo, deshalb sind Sie für mich so unverzichtbar geworden: Sie nehmen mich so, wie ich bin. Manchmal bremsen Sie mich, gewisse Dinge ignorieren Sie,
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