Gut und richtig leben mit dem inneren Schweinehund
Schwierigkeiten:
|76| Seinem Egoismus nicht blind folgen. Natürlich hat Ihr Schweinehund zunächst einmal nur Ihre eigenen Interessen im Blick. So flüstert er Ihnen Ausreden ein, damit Sie nicht zur Jahreshauptversammlung Ihres Vereins gehen müssen. Er verrät Ihnen kleine Tricks, damit Sie nicht schon wieder ein Protokoll schreiben müssen, und wird im Alltag immer wieder versuchen, altruistisches Handeln zu verhindern und persönliche Vorteile für Sie zu sichern. Und zwar nicht aus böser Absicht, sondern weil ihm Ihre Interessen halt wichtiger sind als die Ihrer Mitmenschen. Allerdings hat das eben mit Gerechtigkeit nicht viel zu tun, denn Gerechtigkeit ist in den meisten Fällen eher das Gegenteil von Egoismus.
Auf den eigenen Vorteil verzichten. Der Schweinehund achtet peinlich genau darauf, dass sein Mensch nicht zu kurz kommt. Gelegentlich schlägt er dabei über die Stränge und erkämpft Sondervorteile – natürlich nicht auf geradem Wege. So kann er beispielsweise versuchen, Ihnen zu helfen, dass Sie ein klein wenig mehr aus der Erbmasse bekommen, als Ihnen eigentlich zusteht. Denn für einen Schweinehund ist es geradezu widernatürlich, auf einen sich bietenden Vorteil zu verzichten. Genau das ist aber im Namen der Gerechtigkeit oft erforderlich.
Für andere eintreten. Der Kollege wird gemobbt. Die Kollegin bekommt ein ungerechtes Zeugnis. »Na und?«, sagt der Schweinehund, »was hat das mit dir zu tun?« Also mischt man sich nicht ein. Man könnte sich zusätzliche Arbeit und noch mehr Ärger zuziehen, als man ohnehin schon hat. Der fette, faule, egoistische Schweinehund ist nicht in der Lage, sich überhaupt nur vorzustellen, etwas ohne eigenen Profit zu tun. Wenn er sich schon die Mühe macht, sich aus seinem Körbchen zu wälzen, dann muss auch etwas dabei herausspringen.
Fragen an Sie und Ihren Schweinehund:
Bei welchen Gelegenheiten bringt Sie Ihr Schweinehund dazu, ungerecht oder unfair zu handeln? Was sind dabei wohl seine Motive?
Gibt es Situationen, in denen es Ihnen leichtfällt, gerecht zu handeln?
Welche Rahmenbedingungen braucht Ihr Schweinehund, damit er Sie nicht hindert, gerecht zu agieren?
Tapferkeit
Vollendete Tapferkeit besteht darin,
ohne Zeugen zu tun,
was man vor aller Welt
zu tun vermöchte.
La Rochefoucauld
Wer gerecht ist, aber nicht tapfer, der kann zwar über das Rechte reden, es aber nicht durchsetzen. Wer ohne Tapferkeit maßzuhalten versucht, dem fehlt das Durchhaltevermögen. Und wer zwar klug |78| ist, aber ein Feigling, der kennt vielleicht den richtigen Weg zum guten und richtigen Leben, schreitet vor lauter Angst aber nicht zur Tat. Tugenden brauchen Tapferkeit.
Umgekehrt braucht die Tapferkeit auch die anderen Tugenden. Ohne Gerechtigkeit ist Tapferkeit lediglich die Entschlossenheit zur Tat – und sei es zu einer Missetat. Ohne Klugheit ist der Tapfere nichts weiter als ein Draufgänger. Und ohne Maß kann niemand tapfer sein. Denn Tapferkeit ist die Mitte zwischen Tollkühnheit (maßlosem Mut) und Feigheit (maßloser Angst). Zwischen Allmachtsfantasie und Ohnmachtsgefühl.
Im heutigen Sprachgebrauch ist die Bezeichnung mutig möglicherweise klarer und geläufiger als tapfer . Wer von Mut spricht, bezieht sich wahrscheinlich eher auf eine punktuelle Aktion für andere, während er mit tapfer eher das geduldige Ertragen eines Schicksalsschlags meinen könnte.
Die mutige Handlung zeugt von innerer Freiheit und von großer Selbstbeherrschung. Und das ist der Grund, warum wir den mutigen Menschen so bewundern. Wer mutig handelt, der tut nicht einfach das, was alle tun. Er bricht aus der Masse aus und greift ein: Er packt einen Schuft am Schlafittchen, er nennt ein Unrecht beim Namen. Und mehr noch: Wer mutig ist, der handelt nicht nur autonom, sondern er denkt auch so. Er schließt sich nicht einfach der Mehrheitsmeinung an.
Olaf ist entschlossen, nach Thailand auszuwandern. Er hat sich dort um einen Job bei einer Spedition bemüht, nächsten Monat kann er vor Ort anfangen. »Er rennt vor den Konflikten mit seiner Familie davon«, fällt ein Kommentar in seinem Freundeskreis – natürlich in seiner Abwesenheit. »Er kauft sich eine Ehefrau«, heißt es weiter. »Er lebt seine Gelüste aus«, wird gemutmaßt. Alle scheinen sich einig darin zu sein, dass Olafs Plan, auszuwandern, aus den verschiedensten Gründen unmoralisch ist. Olaf ist Gesprächsthema Nummer eins, und je länger die Clique über den Fall |79| tratscht, desto wüster werden
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