Gut und richtig leben mit dem inneren Schweinehund
Trinken, Sexualität und damit auch die entsprechenden Laster Gula (Völlerei) und Luxuria (Wollust).
Die Mäßigung muss überdies auch die übrigen der sieben Laster zügeln. Sie sorgt dafür, dass Sie sich bei unberechtigter Kritik zwar ärgern, aber keinen blinden Zornesausbruch bekommen. Umsichtig mit Ihren Mitteln umgehen, ohne geizig zu werden. Sich entspannen können, ohne in Lethargie zu verfallen. Eigene Leistungen ohne Eitelkeit darstellen und die Leistungen anderer neidlos anerkennen können.
Heute betrifft Mäßigung nicht nur den Umgang mit dem ursprünglich Lebensnotwendigen, sondern auch den Umgang mit Information und Medien, mit Konsumgütern und mit der Zeit.
Information und Medien
Insbesondere die Medien verführen dazu, sich geradezu berauschen zu lassen – einerseits in Form der Berieselung durch bunte Bilder, andererseits in Form hektischer Betriebsamkeit. Oder beides zugleich. So ist es möglich, gleichzeitig das TV-Gerät laufen zu lassen, einen Stapel Zeitschriften und Werbeblättchen durchzublättern, SMS zu schreiben und zwischendurch gelegentlich die E-Mails zu checken. Der innere Schweinehund liebt diese Art der Geschäftigkeit sehr: Sein Mensch hat das Gefühl, unheimlich viel zu tun, während tatsächlich nichts Wesentliches passiert.
|69| Konsumgüter
Heide wohnt mitten in einer Großstadt, ganz in der Nähe der größten Einkaufsstraße. Beinahe jeden Tag wird sie magisch angezogen von den großen Kaufhäusern und kleinen Läden, von den Cafés und Konditoreien. Und beinahe jeden Tag kauft sie hier eine Kleinigkeit, oder sie erfüllt sich dort einen größeren Wunsch. Wenn sie einmal wieder versucht zu sparen, dann lässt sie ihre Geldbörse zu Hause. Doch abends überkommt es sie wieder – und so schaut sie sich im Internet Online-Shops an, bestellt hier dieses und dort jenes. Sie liebt das Gefühl, etwas Neues nach Hause zu tragen. Oder etwas Besonderes gefunden zu haben. Gleichzeitig ärgert sie sich über ihren miesen Kontostand und darüber, dass ihre kleine Wohnung über und über gefüllt ist mit Krempel, den sie eigentlich nicht braucht.
In den westlichen Industrienationen leiden viele Menschen unter dem Überfluss mehr als unter irgendeiner Form des Mangels. Es gibt viele Superangebote, immer wieder Sonderposten, reichlich Saisonware und irgendwo ist immer Schlussverkauf. Der Schweinehund hält Sie in ständiger Hektik, damit sie bloß kein Schnäppchen verpassen. Um sich zu erholen, will er shoppen. Um sich etwas zu gönnen, will er shoppen, und er will auch shoppen, damit sich sein Mensch selbst verwirklichen kann. (»Ich shoppe, also bin ich« lautet eine moderne Abwandlung des Descartesschen Credos »Ich denke, also bin ich«.) Der Schweinehund liebt die bunten Supermärkte und den Rummel in den Fußgängerzonen. Er trägt gerne dicke Tüten voller Beute nach Hause. Und wenn sich nach dem Shopping ein merkwürdig schales Gefühl breitmacht, schlägt er gleich den nächsten Schnäppchenprospekt auf.
Zeit
Wer heute sagt: »Ich habe Zeit«, der macht sich verdächtig. Ist er etwa nicht erfolgreich? Hat er keine Verpflichtungen? Keine interessanten |70| Freizeitbeschäftigungen? Keinen großen Freundeskreis? Heute gilt es häufig als gut und richtig , im Stress zu sein, obwohl es offensichtlich ist, dass das maßlose Vollstopfen des Terminkalenders mit Aufgaben, Projekten, Meetings, Hobbys und Reisen schlicht und ergreifend der Gesundheit schadet. Der Denker Blaise Pascal hat dies sehr schön auf den Punkt gebracht, als er schrieb: »Wenn ich es gelegentlich unternommen habe, die vielfältige Geschäftigkeit der Menschen zu betrachten, (…) habe ich entdeckt, dass alles Unglück der Menschen von einem einzigen herkommt: sie verstehen es nicht, in Ruhe in einem Zimmer zu bleiben.«
In welchem Zusammenhang steht nun die Mäßigung zu den anderen Tugenden? Sie ist kluges Genießen, weil sie nicht mehr genießen will, sondern besser . Man könnte die Tugend des Maßhaltens also als kleine Schwester der großen Klugheit bezeichnen. Sie ist, vor allem im Vergleich mit der heroischen Tapferkeit, relativ unscheinbar und alltäglich.
Und das macht diese Tugend so tückisch. Sobald wir morgens die Augen aufschlagen, haben wir mit ihr zu tun: Es gilt, sich gegebenenfalls von der Person loszureißen, die wir lieben; beim Duschen nicht zu viel Wasser zu verschwenden; beim Frühstück weder zu viel noch zu wenig Kaffee (oder Tee) zu trinken; im
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