Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
Vom Netzwerk:
wenige sind die Rassen, die wie wir von den Sturmwinden einer großen historischen Epoche aufgerüttelt werden … Wir sind von der Erkenntnis durchdrungen, dass mit den Entscheidungen der Gegenwart wir die Zukunft unseres Volkes für viele Generationen bestimmen werden.‹ Und tatsächlich, mein lieber Thomas, wir arbeiten sehr hart jetzt: Aus den Häusern der Juden, die fort sind, haben wir Unmengen von praktischen Dingen bekommen und bemühen uns, diese so schnell als möglich an die Bedürftigen zu verteilen. Gestern Abend hat Mutter gemeint, es sei nicht schön, das Hab und Gut zu verwenden, das andere zurückgelassen hätten, aber Vater hat ihr heimgeleuchtet und gesagt, ihr Besitz falle ja bloß wieder an uns zurück. Meine Meinung ist, wenn diese Sachen ohnehin hier geblieben sind, dann ist es doch besser, sie an Menschen zu verteilen, die sie wirklich benötigen, nicht wahr? Wie wunderbar und erhebend es ist, wenn du dich Menschen widmest, denen nicht die Privilegien vergönnt sind, die unsereiner genießt. Die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt ist die erhabenste Sache auf der Welt. Wir alle sind wie eine einzige Frau geworden. Manchmal fahren wir abends mit der Elektrischen und jauchzen vor Glück, und das mir, die ich so viele Jahre einsam gewesen bin.«
    Aber nicht nur die ganz Jungen, auch ältere Menschen liefen trunken vor Stolz herum, sogar in Warschau. Er hingegen empfand nicht einmal einen Anflug von Hochgefühl. Wenn ihn überhaupt etwas interessierte, dann die Maßnahmen, die die Reichsregierung im besetzten Frankreich ergreifen würde. Warum das? Und wo war Erika Gelber, wenn man sie brauchte? Er hoffte, dass es ihr gelungen war, aus Deutschland herauszukommen oder sich in irgendeiner Weise mit der Situation zu arrangieren. Er hatte keine Möglichkeit, etwas über sie in Erfahrung zu bringen, ohne den Verlust seiner jetzigen Stellung zu riskieren.
    »Ich wiederhole: Zweihundertfünfzig bis zum sechzehnten Juni! …«, rief Wolfgang und kraulte den Flaum auf seiner Brust.
    »Hier sind zweihundertfünfzig Mark.« Thomas gab sich einen Ruck.
    »Thomas, mein Freund!«, jubelte Wolfgang. »Hast du mich vermisst? Ich hatte in Krakau zu tun«, setzte er hinzu, stopfte das Geld in seine Hosentasche, kam mit bühnenreifem Auftreten angewankt und ließ sich neben Thomas auf einen Stuhl fallen. »Es war schrecklich, am Bahnhof hab ich so einem verdreckten polnischen Jungen etwas Geld gegeben, und danach hat mir die ganze Woche der Kopf gejuckt.«
    »Haben sich deine Angelegenheiten regeln lassen?«
    »Ich hoffe doch sehr«, rief Wolfgang. »Jede Sekunde dort habe ich in meinem Herzen dem Herrn Kresling gedankt, dass er mich hierher in sein Büro hat versetzen lassen. Diese Hornochsen dort haben mich zu einer Besprechung mit dem Schwachkopf genötigt, der meine Stelle übernommen hat.« Wolfgangs Lachgrübchen wurden durch einen besorgten Gesichtsausdruck getilgt. »Und als ich da mit ihm zusammen gesessen bin, hab ich begriffen, dass ihn überhaupt nicht interessiert zu hören, was ich jetzt mache. Stellst du das nicht auch immer öfter fest? Das große Ziel zerfällt, jede Organisation kocht nur noch ihr eigenes Süppchen.«
    Thomas nickte ihm bestätigend zu. Abermals dieses langweilende Geschwätz über die Effektivität des Verwaltungsapparates. Zudem musste man doch sehen, dass dieser gepeinigte Gesichtsausdruck nicht zu Wolfgang passte, dem Sohn aus gutem Hannoverschen Hause, dem jungen Offizier mit seinen honigfarbenen Locken und den himmelblauen Augen. Mit jugendlicher Inbrunst vertrat er Ansichten zu Fragen, deren Komplexität er wohl kaum verstand. Aber Thomas mochte ihn wegen seines gutmütigen Temperaments, seiner ansteckenden Fröhlichkeit und der Tatsache, dass er wie geboren schien, sich von anderen verleiten zu lassen.
    »Eben habe ich im ›Bristol‹ mit deinem Herrn Kresling und noch ein paar Kameraden gespeist«, sagte Thomas wie nebenbei. »Er meinte, du wärest der treueste Adjutant, den er je hatte.«
    »Auf Kresling wartet eine große Zukunft.« Wolfgangs Augen blitzten. Er zog sein Unterhemd bis über die Brust hoch und trocknete damit den Schweiß auf seinem Gesicht. Sein Körper verströmte einen intensiven Schweißgeruch, vermischt mit dem Aroma von gebratenem Fleisch. »Er hat schon mehrfach dein Modell gerühmt. Und Kresling ist einer, der Komplimente zu machen weiß, wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Darauf lass uns trinken«, lachte Thomas und nickte. Er verstand

Weitere Kostenlose Bücher