Gute Leute: Roman (German Edition)
die Umsiedlungen im Ausland erhebliche Ressentiments geweckt haben. Erst im März sah sich das Auswärtige Amt genötigt, die Klagen zurückzuweisen, die aus den Vereinigten Staaten hinsichtlich der Umsiedlungen im Allgemeinen und die der Juden im Besonderen vorgebracht wurden, weshalb sogar ein persönliches Intervenieren durch Reichsmarschall Göring vonnöten war. Mithin sind erhebliche Zweifel angebracht, ob die Umsiedlungen ihr Ziel jemals erreichen werden. Nicht weniger entscheidend mutet die Feststellung des Reichsmarschalls an, unser Sieg im Krieg sei wichtiger als die Umsetzung der Rassenpolitik – dies sollte der Ausgangspunkt für jede Diskussion und Entscheidungsfindung zu diesem Thema sein …
Wie wir zudem gehört haben, hat auch Reichskommissar Himmler zuletzt geäußert, ›die bolschewistische Methode der physischen Ausrottung eines Volkes aus innerer Überzeugung sei als ungermanisch und unmöglich‹ abzulehnen. Dies sind zutreffende und beeindruckende Schlussfolgerungen, doch sollte ein gangbarer Plan im Geiste des Modells dahinter stehen.«
Er war gerade mit der Niederschrift fertig, da klopfte Weller an die Tür seines Büros, wünschte einen guten Abend und war auch schon wieder verschwunden. Wenn Weller von seinem Plan erfuhr, das Modell unter Görings Fittiche zu schieben, würde er wie ein Löwe gegen ihn kämpfen.
Einige Augenblicke lang überlegte er, ob es nicht besser wäre, den großen Sprung noch eine Weile aufzuschieben, doch als die Zweifel zu einem beängstigenden Summen wurden, beeilte er sich, sein Gesicht im Spiegel zu betrachten und nach ersten Anzeichen des Alters zu forschen. Wie sonst ließe sich seine Kapitulation vor den Einflüsterungen der Angst erklären? Und noch dazu vor einem nutzlosen Pedanten wie Weller! War er nicht schon mit ausgekochteren Typen fertig geworden? Und selbst wenn das ganze Auswärtige Amt ihn bekriegen würde: Wenn du springst, schwebst du über dem Abgrund und wirst vielleicht fallen. In dieser Hinsicht hatte er sich nie Illusionen gemacht. Doch wenn du glaubst, jenseits des Abgrunds deine Bestimmung zu finden – dann spring!
Ohnehin, tröstete er sich, sollte Kresling seine Idee unterstützen und ihm den Weg zu Göring ebnen, würde der Kampf schnell entschieden sein. Hatte der Reichsmarschall erst einmal verstanden, welchen Vorteil ihm die Schirmherrschaft seines Ministeriums über das Modell im Kampf mit Himmler um die Kontrolle in Polen einbrächte, würde er dem Führer so lange in den Ohren liegen, bis er das Gewünschte bekommen hatte. Das Auswärtige Amt würde gewiss Zeter und Mordio schreien, doch dann wäre die Sache schon nicht mehr rückgängig zu machen. Schließlich war Görings Stellung nicht mit der von Ribbentrops zu vergleichen.
Thomas war auf Görings Patronage angewiesen, weil seine Pläne weit über Polen hinausgingen. Mit Görings Hilfe würde er das für das Modell verantwortliche Büro zu einer der einflussreichsten Instanzen des Reiches in Polen machen, würde nach und nach »Modell-Agenturen« auch in den anderen Staaten errichten, die im Westen gerade erobert wurden. Dies war genau der richtige Zeitpunkt, schnelle Lösungen dafür zu liefern, wie die neuen Reichsbewohner zu behandeln wären. Und diese neuen Dependancen – in Holland, Belgien und Frankreich – würden selbstverständlich Thomas’ Kontrolle unterstehen. Natürlich würde man ihm vorhalten können, er verkaufe noch einmal die Idee der Niederlassungen, die er bei Milton entwickelt hatte, aber es gab schließlich kein Gesetz, das einem Menschen verboten hätte, eine gute Idee einer neuen Arbeitsumgebung anzupassen.
Der Plan hatte noch einen Vorzug: Würde er von Göring protegiert, könnte Thomas die ganze Macht des Reichsmarschalls verwenden, um einen brutalen Gegenschlag gegen Hermann zu führen. Allein dieser Gedanke bereitete ihm großes Behagen: Eine volle Stunde saß er in seinem Büro und malte sich Szenarien aus, an deren Ende Hermann die Waffen strecken musste, unehrenhaft aus der SS ausscheiden und als armseliger Arbeitsloser nach Berlin zurückkehren würde, um endlich zu begreifen, dass Thomas eine Nummer zu groß für ihn gewesen war.
Kreslings Büro befand sich in der Oberkommandantur in den Aleje Jerozolimskie, etwa zehn Minuten zu Fuß von ihren eigenen Räumlichkeiten entfernt. Kresling empfing ihn aufgeräumt und beklagte sich sogleich über die anhaltenden Scharmützel zwischen Göring und Himmler hinsichtlich der
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