Gute Leute: Roman (German Edition)
weitem sah, amüsierte er sich mit Ratespielchen: War die mit dem Federhut Wanda? Und einmal, als er betrunken war, hatte er ernsthaft erwogen, laut »Maria« zu rufen und zu sehen, welche von ihnen sich umdrehte. Nachts, in seinem Bett, wenn seine Phantasie diesen Zuruf dramatisch ausschmückte, drehten sich alle drei zu ihm um. Die Schwestern waren mit Beamten und Offizieren befreundet, und Weller lästerte, sie würden sicher mit allen möglichen hochgestellten Persönlichkeiten ins Bett gehen, die im Gegenzug schützend ihre Hand über den Vater hielten – denn dem drohe schon lange die Deportation aus Warschau oder »noch Schlimmeres«. Dieser aggressive Tonfall widerte Thomas an.
Er schritt durch den schmalen Torgang, dessen Wände feucht und muffig waren, und lauschte mit einem Lächeln auf die ausgelassenen Stimmen im Hof. In dem gewölbten Gang gesellte sich zu den Stimmen stets ein gedämpftes Summen. Das muntere Treiben heiterte ihn ein wenig auf. In letzter Zeit zog er es vor, seine freie Zeit in der Gruppe zu verbringen. Wellers Gesellschaft allein bedrückte ihn.
Sieh an, da war er ja schon, stand mit dem Rücken zu ihm in der Mitte des Innenhofes und verhandelte irgendeine triviale Angelegenheit mit denen, die das Grillen der Fleischstücke übernehmen sollten. Thomas’ Blick blieb auf Wellers kräftigem Nacken hängen.
»Herr Weller, diesmal ist nicht genug Fleisch für Ihre Slawen da …«
»Obersturmführer, wir hatten eine klare Abmachung: Einmal in der Woche bekommen sie Fleisch«, antwortete Weller ungehalten.
»Abmachung, Abmachung, für Fleisch muss man ein bisschen Entgegenkommen zeigen!«, gröhlte sein allem Anschein nach schon betrunkener Kamerad, der sich in kurzer Hose auf einem Laken sonnte.
Thomas warf einen Blick auf die Treppenstufen, die in den Keller führten, und auf die kleinen Türen, die mit Brettern kreuz und quer zugenagelt waren. Die Totenstille dieser Verschläge – niemals hatte er auch nur ein Husten von dort vernommen – bedrückte ihn. Fünfzehn polnische Arbeiter, die Weller mit viel Mühe beschafft hatte, waren (weil Weller wohl Angst hatte, man könnte sie ihm wieder wegnehmen) in ihrem Hof untergebracht worden. Jeden Morgen um Punkt sieben wurden sie aus den Kellerverschlägen herausgetrieben und bei unterschiedlichen Arbeiten eingesetzt: bei der Räumung von Schutthaufen aus den Häusern, die im vergangenen Jahr bei den Bombenangriffen gelitten hatten, beim Treppenputzen, beim Unkrautjäten zwischen den Pflastersteinen im Hof und dem Setzen aller möglichen Pflanzen, die nach Wellers Worten im Frühling wunderbare Blüten treiben würden. Am Abend dann, gegen fünf Uhr, wurden die Türen der Verschläge abgeschlossen, und der Schlüssel wurde dem im Quartier diensthabenden Offizier übergeben.
Weller gelang es sogar, den Polen Arbeitsbescheinigungen zu beschaffen, was er Thomas gegenüber mit den Worten kommentierte: »Ich habe Blut für sie gespuckt, die sollten mir bis zu ihrem letzten Stündchen dankbar sein. Wäre ich nicht gewesen, wären die längst in Arbeitslagern.«
»Deine Kellerverschläge sind auch nicht gerade das Hotel Bristol«, stichelte Thomas. »Die Decke dort ist kaum einen Meter achtzig hoch, und nicht einmal ein Fenster haben sie.«
»Wir haben ihnen Luftlöcher in die Wände gebohrt«, beharrte Weller. »Außerdem arbeiten sie zehn Stunden am Tag und bekommen ordentliche Verpflegung.«
Seither hatte Thomas nicht mehr mit ihm über die Angelegenheit gesprochen, aber wenn sein Blick auf die Kellerstufen fiel, verfluchte er Weller insgeheim. Die polnischen Arbeiter sorgten seiner Meinung nach nur für überflüssige Reibereien: In der vergangenen Woche hatte einer der Offiziere entschieden, sie für einen Tag von der Arbeit fernzuhalten und sie im Keller gepfercht zu lassen. Erst am nächsten Morgen hatte Weller herausgefunden, dass sie seit mehr als sechsunddreißig Stunden in ihren Verschlägen steckten. Die meisten von ihnen litten heftig unter Atemnot, einige waren bewusstlos geworden, und ein junger Kerl war gestorben.
In der Absicht, Weller aus dem Weg zu gehen, drückte er sich an die Mauer und hatte vor, sich zu dem fröhlichen Haufen zu gesellen, der um einen Tisch am Rande des Hofes versammelt saß. Doch Weller drehte sich plötzlich zu ihm um und machte ihm mit dem Finger ein Zeichen näherzukommen. Widerwillig trat Thomas zu ihm.
»Ich habe auf der Straße den sonnengebräunten blonden Standartenführer
Weitere Kostenlose Bücher