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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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könnte, den Offizier unter irgendeinem Vorwand in sein Büro zu bestellen – bis es soweit war, würde er schon ein paar Gründe für eine Unterredung parat haben. Am Ende entschied er, dies bei anderer Gelegenheit zu tun.
    Soldaten mit in der Sonne aufblitzenden Stahlhelmen standen reglos vor den Toren des Gebäudekomplexes, in dem sich früher die Universität befunden hatte. Immer, wenn er an diesen armen Kerlen vorüber kam, musste er daran denken, wie Weller und er sich bei Generaloberst Fromm im Allgemeinen Heeresamt in der Bendlerstraße freiwillig zum Militärdienst gemeldet hatten. An jenem Tag hatten die Westmächte Deutschland den Krieg erklärt. Sie verabredeten ein Treffen, und Thomas sagte: »Wenn wir auf unser Gewissen hören, wird es uns schwerfallen, unserer Arbeit im Außenministerium weiter nachzugehen, während unsere Kameraden ihr Leben für das Vaterland riskieren.«
    »Herr Heiselberg hat zwar Schmerzen im Rippenbereich, und ich auch, bis ich Ihrem Arzt von all meinen Wehwehchen erzählt habe, ist der Krieg vorüber, dennoch stellen wir uns dem Vaterland zu Verfügung.« Weller hatte das Kinn vorgereckt. Sie waren mit Entlassungspapieren und Lobeshymnen von Fromm bedacht worden, der sie »ein leuchtendes Vorbild für all diese Epikuräer im Auswärtigen Amt« nannte. Und damit war die Angelegenheit erledigt.
    Thomas näherte sich ihrem Quartier. An den Wochenenden pflegten die Bewohner der Häuser Stühle und Tische auf den quadratischen Platz in der Mitte herauszutragen und sich mit Karten- und Ballspielen zu vergnügen. Sie rauchten Pfeife, lasen Zeitungen und Bücher, einige spielten auch mit einem Fangseil, und stets standen auf den Tischen Flaschen mit lauwarmem Bier. Am vergangenen Samstag war sogar ein Ringwettkampf veranstaltet worden. Weller hatte Thomas überrascht, als er bei mehreren Kämpfe siegte: »Ringen ist ein Steckenpferd in unserer Sippe«, teilte er ihm mit, während er noch seine Glieder streckte, und erzählte, sein geliebter Cousin sei Ringer und habe das Reichssportabzeichen erhalten.
    Jedes Mal, wenn Weller die Worte »unsere Sippe« aussprach, plusterte er sich auf wie ein Truthahn, als wollte er sagen, das ist unser Geschlecht und das sind seine Erfolge: Wir haben Wilhelm und Bismarck gedient, haben Verträge geschlossen, bis es Europa schwindelte, und haben sie wohl oder übel auch wieder gebrochen, haben mit einem Handstreich ganze Armeen in den Krieg geschickt, haben Deutschland blutige Waffengänge, aber auch Tage der Prosperität und des Friedens beschert. Wir haben uns an prächtigen Siegen berauscht, haben voller Trauer von den Schlachtfeldern gehört, über die der Verwesungsgeruch der Leichname unserer Kumpanen wehte – und du, aus welchem Krämerviertel bist du gekommen?
    In solchen Momenten war Thomas im tiefsten Inneren stolz auf den Führer, dass er die Privilegien dieser preußischen Herrenreiter abgeschafft hatte, die Generation um Generation die Grundfesten der Gesellschaft untergraben hatten. Jack Fisk hatte dies besser verstanden als die meisten Deutschen: Bei ihrem Treffen nach dem Silvesterball hatte Fisk zu ihm gesagt: »Mein Vater war ein Mensch, der hart gearbeitet hat, aber ohne großen Erfolg, genau wie der Vater eures Führers. Nach meiner Einschätzung wird ein neues Deutschland, das die Sonderrechte der Privilegierten beschneidet, gut für dich sein. Denn letztendlich, Thomas, und das habe ich dir schon einmal gesagt, bist du ein äußerst begabter Deutscher!« Gegen seinen Willen ließ ihn diese Erinnerung ein wohliges Gefühl von Wärme empfinden, und fast hätte er ein Loblied auf seinen früheren Arbeitgeber angestimmt.
    Die Front eines der Gebäude warf einen Schatten auf die Straße, und in diesem zogen in einer Bewegung voller Zauber, wie schwebend, drei Schwestern vorüber. Jedes Mal, wenn er durch die Stadt streifte, hoffte er, die stets in Eile befindlichen Schwestern zu sehen. Er erkannte sie an ihren engen schwarzen Kleidern, den Seidenstrümpfen und den unterschiedlichen Hüten. Zwei der jungen Frauen hatten Klarissas unsicheren Schritt, jene typische Gangart, die darauf schließen lässt, dass sie noch nicht lange hochhackige Schuhe trugen. Nun waren sie schon ein ganzes Stück weg, und Thomas verspürte einen Stich von Trauer, dessen Heftigkeit ihn überraschte.
    Einmal hatte er nach ihnen gefragt. Zwei hießen Wanda und Maria, während die dritte einen sonderbaren Namen hatte, der ihm entfallen war. Wenn er sie von

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