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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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gesehen«, begann Weller, »vielleicht lohnt es sich, ihn bald mal auf einen Drink einzuladen. Er hat Einfluss und, wie manche behaupten, auch eine kleine Schwäche für gutaussehende Männer …«
    »Eine gute Idee«, nickte Thomas.
    Vielleicht war Weller ja doch nicht so verkehrt. Auch wenn er mit Belanglosigkeiten befasst schien, verlor er das Wesentliche nicht aus den Augen. In seiner Diplomatendynastie hatte das gewiss schon immer dazugehört: Förmlichkeiten, Anstandsfloskeln und eine übertriebene Beschäftigung mit dem schönen Schein.
    »Ich hatte den Eindruck, dir gefällt dieser Kresling«, bemerkte Weller mit leicht gehässigem Unterton, der nicht so recht zu seinem Komödiantengesicht mit der Rübennase passen wollte.
    »Ein sicher schätzenswerter Mensch«, erwiderte Thomas, »und von umfassendem Kunstverstand.«
    »Wie sollte es auch anders sein?« Weller schnalzte spöttisch mit der Zunge. »Seine vornehmliche Aufgabe in der ›Haupttreuhandstelle‹, oder wie immer du den Verein nennen willst, besteht doch darin, die Schätze der deutschen Kulturnation durch Raub und Diebeszüge zu bereichern!«
    »Kresling ist ein hervorragender Mann«, meinte Thomas aufgebracht.
    Wie gern hätte er Weller jetzt gesagt: Sieh dich um, mein teurer Freund, ihr seid schon nicht mehr Herr im eigenen Haus, deinen Großvater hätte Bismarck sicher nicht in der Botschaft versauern und ihn Telegramme lesen lassen. Es war von Ribbentrop, der frühere Sektvertreter, der dich dort kaltgestellt hat. Ein Mensch, der etwas auf sich hält, sollte auf der Hut sein vor Ehrbezeugungen, die lediglich seiner vornehmen Herkunft gelten, sollte nach Anerkennung streben, die allein seiner Begabung und seinen Leistungen geschuldet ist.
    Die Offiziere wandten sich erneut mit ihrem bierseligen Geschwafel an Weller, der geduldig zuhörte. Thomas nutzte die Gelegenheit und eilte zu dem fröhlichen Tisch. Rechts und links davon aalten sich auf Bettlaken Offiziere mit entblößter Brust, zwischen den Lippen eine Pfeife, die nackten Schultern bereits von der Sonne gerötet. Ihre Freizügigkeit ärgerte ihn, gleichzeitig jedoch beneidete er sie. Sie wirkten so frei und natürlich, während er in seinem förmlichen Anzug steckte, ein Greis in einem Vergnügungspark. Er warf noch einen Blick auf Weller und sah, dass sie die einzigen im Hof waren, die nach allen Regeln der Etikette gekleidet waren, weshalb er sich beeilte, seine Krawatte abzunehmen und sie in die Tasche zu stopfen, die Ärmel seines Hemdes hochkrempelte und die beiden obersten Knöpfe öffnete.
    Auf dem Tisch stand sein neuer Freund Wolfgang Stalker, ein junger Sturmbannführer, der erst vor kurzem zur »Haupttreuhandstelle Ost« versetzt worden war. »Zwischenstand«, verkündete Stalker gerade. »Fischer von der Gestapo hat zweihundertfünfzig auf den zehnten bis zwölften Juni gesetzt. Sollte die Wehrmacht Paris um eine Minute nach Mitternacht einnehmen, ist sein Geld futsch … Unser Freund Moltke ist als Vertreter der Wehrmacht optimistischer und hat zweihundertfünfzig auf den neunten Juni gesetzt … Ich dagegen, meine Herren, setze ein wenig mehr Vertrauen in die Franzmänner, zweihundertfünfzig auf den siebzehnten bis neunzehnten Juni. Kauft irgendjemand den vierzehnten bis sechzehnten?«
    In den letzten Tagen hatte in ihrem Quartier die allgemeine Begeisterung für den Siegeszug der Wehrmacht im Westen wüste Formen angenommen. Nacht für Nacht trank man auf die neuesten Triumphe, und gegen zehn lehnten sich gerötete Gesichter aus den Fenstern und gröhlten gemeinsam, zumeist dirigiert von Wolfgang: »Gott sei mit unserem Führer / Gott segne seine Hand / Gott schütze unser deutsches / heißgeliebtes Vaterland!« Thomas hingegen sah bereits die Niederlage voraus – und dies nicht aus sachlichen Erwägungen, vielleicht würde sie auch erst viel später erfolgen –, denn schließlich erwartete jeden Triumphator irgendwann in der Zukunft das Scheitern. Zwar hatte auch er gelernt, seine Gesprächspartner mit Gesten und Äußerungen einzulullen, doch ihre Begeisterung, ebenso wie die, die Klarissa in ihren Briefen zum Ausdruck brachte, schien aus einer Welt zu stammen, in der Menschen von anderer Art lebten, Gläubige. Wäre er so jung wie sie, würde dieser Zauber, den sie in ihrem letzten Brief beschrieben hatte, vielleicht auch auf ihn wirken:
    »Man hat uns einen Zeitungsartikel zu lesen gegeben und darin war ein Satz, der mich aufgewühlt hat: ›Nur

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