Gute Leute: Roman (German Edition)
Polenpolitik.
An der Wand hinter ihm hingen an Fäden Flugzeugmodelle, angefangen von alten Maschinen aus dem Ersten Weltkrieg, zweimotorigen »Boeings« bis hin zu dem Modell einer »P-36 Hawk«, dem großen Modell einer »Stuka« und anderen mehr. Von Wolfgang hatte er erfahren, dass Kresling aus einem katholischen Elternhaus stammte und dass die Maschine seines ältesten Bruders, der in einer Fliegerstaffel mit Göring gedient hatte, im Krieg abgestürzt und über der Somme zerschellt war. Von Schumacher wiederum hatte er gehört, Kresling habe zusammen mit Wohlthat am »Vierjahresplan« gearbeitet, habe wie dieser als amerikafreundlich gegolten und vielleicht deshalb als Görings Repräsentant bei den Verhandlungen mit dem amerikanischen Flugzeugbauer »Curtiss-Wright« gedient, als es um den Ankauf mehrerer Maschinen ging. Schumacher hatte gesagt: »Wir haben zwei von diesen Hawk-Jägern gekauft, in der Industrie glaubten sie damals, es würde sich lohnen, Kampfflugzeuge nach den Modellen der Amerikaner zu bauen.«
Thomas stellte seine interessierte Betrachtung der Flugzeugmodelle ein, da der kühle Blick seines Gastgebers ihm zu verstehen gab, dass es diesem nicht zusagte, wenn Gäste seinen Steckenpferden zu großes Interesse widmeten. Kresling schimpfte abermals auf Himmler und sah ihn erwartungsvoll an, was für Thomas das Zeichen war, in aller Kürze seine Vorstellungen darzulegen. Das Memorandum selbst beließ er in seiner Aktenmappe. Nach einer Beratung mit Wolfgang hatte er entschieden, seine Ideen mündlich vorzutragen und keine schriftlichen Beweisstücke zu hinterlassen. Denn Kresling sei, so Wolfgang, durchaus in der Lage, Gebrauch von dem Memorandum zu machen, »weil er einfach so ein Mensch ist, begeistert von einem Ziel und zuweilen nicht zimperlich, was Menschen angeht.«
»Ein Schriftsatz, auch inoffiziell, könnte von großem Nutzen sein«, meinte hingegen Kresling, der höchst zufrieden mit Thomas’ Vortrag schien.
»Im Augenblick würde ein solches Dokument mehr Schaden anrichten als nützen«, erwiderte Thomas. »Denn ich könnte nur im Rahmen meiner Kompetenzen als Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes antworten, und auch nur auf Fragen, die den Tätigkeitsbereich der Institution, der Sie vorstehen, betreffen. Das Mandat des Modells beschränkt sich darauf, punktuelle Lösungen für Reichsorganisationen zu liefern, nicht aber sich in Angelegenheiten einzumischen, die die Gesamtpolitik berühren.«
Kresling antwortete nicht. Er räkelte sich auf seinem Sessel, bis sein kleiner Schmerbauch unter dem weißen Hemd deutlich sichtbar wurde. Thomas gab sich alle Mühe, nicht hinzuschauen.
»Herr Kresling, ich biete Ihnen meine Hilfe an«, sagte er jetzt unvermittelt. Er war fest entschlossen, dieses Treffen nicht in einem Austausch allgemeiner Floskeln versanden zu lassen. »Das Modell hat sämtliche Versäumnisse und Erfolge in Polen vorausgesehen. Aber wir sind nicht so allwissend, wie manche Leute glauben, sondern lediglich konsequent.«
»Schauen Sie, Ihr Modell hat inzwischen eine Wertschätzung erfahren, die nicht vorauszusehen war. Vielleicht ist sein natürlicher Platz tatsächlich nicht das Auswärtige Amt«, sagte Kresling.
Thomas schwor sich, Wolfgang am Abend für seine Hilfe einen Kuss zu geben. »Wir erfahren zweifellos eine gewisse Wertschätzung, aber darüber hinaus sollten auch bestimmte Entscheidungen in Zusammenarbeit und Abstimmung mit uns getroffen werden«, fuhr Thomas fort.
»Die Frage ist doch, ob das Auswärtige Amt nicht alles versuchen wird, um ein derart wichtiges Instrument in den eigenen Händen zu behalten«, bemerkte Kresling, und Thomas schien, als würde dieses Kompliment mit einem stichelnden Unterton vorgebracht.
»Letztendlich gibt es nur einen Mann, dem es zukommt zu entscheiden, wo das volle Potential des Modells am besten zu nutzen ist«, stellte Thomas fest und suchte in Kreslings Gesicht nach Anzeichen des leichten Spotts, den er gerade zu spüren gemeint hatte. Zu seiner Erleichterung fand er nichts dergleichen. Offenbar war es seine eigene Verzagtheit, die ihn in letzter Zeit immer häufiger befiel und sein Gehirn mit Falschmeldungen versorgte.
Kresling beugte sich über den Tisch, auf dem Aktenordner, ein Aschenbecher, eine Kaffeetasse und Fotos von einer Frau und ponyreitenden Kindern standen. Die Bilder waren allesamt den Stühlen vor Kreslings Schreibtisch zugewandt. Betrachtete er selbst die Fotos seiner Liebsten nicht gerne? An der Wand,
Weitere Kostenlose Bücher