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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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Tatenlosigkeit verzweifelt. Mitunter verlangte es ihn, von der Kommandantur der SS zum Amtssitz des Distriktgouverneurs zu ziehen, von dort weiter zum Haus der Partei, dem »Haus unter der Uhr« und zum »Deutschen Haus«, um sie alle mit einem letzten Aufblitzen des alten Thomas’schen Zaubers in seinen Bann zu schlagen und sich dann davonzumachen. Nicht ohne ihnen zuvor die Erkenntnis beschert zu haben, dass dort, im obersten Stockwerk des schäbigen Hauses in der Lindenstraße, ein Mensch saß, der für jeden, der ihn aus seinem Karzer befreite, ein unschätzbares Kapital darstellte.
    Doch er wurde auch von Gedanken heimgesucht, die ihm neu und fremd waren. Zum Beispiel: Georg Weller – hatte Georg ihm nicht in einer schweren Stunde eine Chance gegeben? Und wie hatte Thomas es ihm vergolten? Mit einem heimtückischen Manöver. Eine absurde Anwandlung, kein Zweifel, auch mit seiner allgemeinen Schwäche nicht entschuldbar. Immerhin war ja er, Thomas, es gewesen, der das Modell verfasst hatte, dank dessen Weller sein eigener Herr geworden war und eine eigene Agentur leitete. Außerdem hatte Weller sich zu einem Zeitpunk an ihn gewandt, als seine Stellung im Auswärtigen Amt auf tönernen Füßen stand und es höchste Zeit war, sich mit jemandem zusammenzutun, der über eine neue Idee verfügte. Und hätte sich Weller nicht als Amateur entpuppt, der sich mit Belanglosigkeiten abgab und die Zukunft des Modells gefährdete, wäre ihm, Thomas, niemals in den Sinn gekommen, das Modell Kresling anzutragen. Aber auch wenn er sich mit diesen Antworten selbst beruhigte, musste er sich eingestehen, dass er in letzter Zeit immer wieder die Argumente seiner Feinde wälzte, die er früher einfach weggewischt hätte.
    In der Parteizentrale empfing man ihn durchaus freundlich und schickte ihn in einen Raum, in dem sich bereits vier Männer eingefunden hatten: zwei in Uniform und zwei im Anzug. Einer von ihnen, ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, übermittelte im Auftrag von Martin Luther, dem Leiter der Abteilung D, »Deutschland«, zunächst dessen herzlichste Grüße an Herrn Heiselberg. »Der Auftritt einer neuen Persönlichkeit im Auswärtigen Amt ist bitter nötig« – hatte ihm Luther einst zugeflüstert. Weller verabscheute ihn, in seinen Augen war Luther einer von »Ribbentrops verweichlichten Schwachköpfen«, der sogar der Unterschlagung beschuldigt worden war.
    Nachdem die vier Herren sich alle Mühe gegeben hatten, Thomas zu schmeicheln und seine Erfolge zu preisen, stellte sich jedoch heraus, dass man ihm eine erbärmliche Aufgabe zugedacht hatte. So erbärmlich, dass er das Ganze zunächst für einen Scherz hielt. Sie erzählten ihm von einem nebulösen Plan, ohne Etat und klare Zielsetzung, nicht mehr als ein bloßes Palaver mit Repräsentanten aus der Sowjetunion über eine »gemeinsame Militärparade«. Es handele sich dabei um eine Initiative der Kommunisten. Die hätten vorgeschlagen, eine pompöse Militärparade abzuhalten, um den Eindruck der kleinen und überstürzt geplanten Parade zu korrigieren, die im September 1939 in Brest stattgefunden hatte. Damals habe man zum Ausdruck bringen wollen, dass Polen in bestem Einvernehmen zwischen Deutschland und der Sowjetunion aufgeteilt worden war, während die neue Parade die unverbrüchliche Freundschaft zwischen den beiden Staaten zum Ausdruck bringen solle. Und wegen der geographischen Nähe sollte der Plan im Distrikt Lublin in die Tat umgesetzt werden.
    Die Reichsregierung habe beschlossen, sich dem Anliegen nicht zu verweigern, solange die Kommunisten an Deutschland Rohstoffe verkauften, auf die die Industrie angewiesen sei. Denn, fügte der Mann vom Auswärtigen Amt hinzu, aufgrund der britischen Seeblockade sei die deutsche Industrie ja heute faktisch von den Einfuhren aus dem Osten abhängig. »Die Zahlen sind wirklich erschreckend: Im vergangenen Jahr hat uns die Sowjetunion vierundsiebzig Prozent aller Phosphate geliefert, mehr als sechzig Prozent des Asbest- und Chrombedarfs, über vierzig Prozent des importierten Nickels und vierunddreißig Prozent des Erdöls, gar nicht zu sprechen von den Ölfeldern in Rumänien, ohne die Deutschland schlicht verloren wäre. Meine Herren, das sind Fakten, die viele um den Schlaf bringen. Die schmerzliche Frage lautet: Wie konnte Deutschland in eine Lage geraten, in der seine Industrie sich vom guten Willen eines Stalin nährt?«
    Thomas sagte, die Zahlen seien in der Tat besorgniserregend, doch sehe er sich

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