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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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Frauen doch immer noch irgendeine mythische Gestalt: die große Mutter, die Gemahlin, die loyale Gehilfin, eine Madonna oder Hure, und ich bin jetzt die Eisfrau.«
    »Warum nehmen Sie nicht einfach einmal an«, gab er zurück, »dass auch der Mensch, der Ihnen gegenüber sitzt, eine vielschichtige Seele hat? Ich bin nicht als NKWD-Mitarbeiter zur Welt gekommen. Vielleicht überrascht Sie das, aber bis zum Alter von zwanzig Jahren war mein großer Traum, auf einer Oblomowka zu leben und den sorglosen, degenerierten Müßiggang eines Adeligen zu pflegen.«
    »Nikita Michailowitsch«, beharrte sie. »Ich erzähle Ihnen, was ich denke, und sogar über meine Ehe haben wir mehr als einmal gesprochen. Vielleicht vermuten Sie, ich hätte Gedanken, die ich gar nicht habe?«
    »Das wüsste ich gerne«, knurrte er und legte die Füße auf den Tisch. »Wenn ich Sie zwinge, diese Flasche auszutrinken, werden wir dann endlich etwas Wahrhaftiges zu hören bekommen?«
    Seine trunkene Aggressivität ängstigte sie ein wenig. »Ich habe einmal in einem Buch gelesen: Wenn du dem Feind eine Information vorenthalten willst, offenbare sie nicht dem Freund.« Das Lachen kostete sie Mühe.
    »Eine hübsche Spitzfindigkeit, wie üblich«, bemerkte er freudlos. »Wir haben hier das Gefühl – und Sie werden dies natürlich vehement bestreiten –, dass Sie nicht mehr in der Lage sind, die Dinge zu tun, die wir hier tun müssen.«
    »Haben Sie etwa vor, mich rauszuwerfen?«, frotzelte sie, erriet aber jetzt, dass er eine gute Nachricht zu überbringen im Begriff war.
    »Alexandra Andrejewna, vielleicht haben Sie mich nicht richtig verstanden, meine Absichten Ihnen gegenüber sind immer lauter gewesen, und ich empfinde nichts als Hochachtung und Trauer ob der Dinge, die Sie in Ihrem jungen Alter schon haben durchstehen müssen.«
    »Ich brauche kein Mitleid.«
    »Wir haben ein kleines und nettes Projekt, und ich möchte, dass Sie sich diesem von jetzt an widmen.« Er ignorierte die Empörung in ihrer Stimme, als hätte er die Panik vorausgesehen, die sie in dem Augenblick erfassen würde, in dem er es wagte, ihre Belastbarkeit in Zweifel zu ziehen.
    »Sicherlich ist Ihnen bekannt, dass es vermehrt zu Meinungsverschiedenheiten zwischen uns und den Deutschen gekommen ist, weshalb wir die Spannung abbauen und die Beziehungen wieder verbessern möchten. Der Einmarsch der Italiener in Griechenland stellt für die Deutschen einen neuen Anreiz dar, was uns die ideale Gelegenheit verschafft, ein wenig guten Willen zu zeigen. Das Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten hat einen Vorstoß erarbeitet für eine gemeinsame Operation, die in Brest stattfinden soll, als Symbol für eine Stadt des Friedens und der Kooperation. Sie wissen ja, dass im September vergangenen Jahres die Wehrmacht und die Rote Armee einander hier in Brest begegnet sind. Die Deutschen hatten, den von ihnen eingegangenen Verpflichtungen entsprechend, die Stadt geräumt, aber zuvor, genau in dieser Straße hier, haben unser lieber Semjon Kriwoschein und der deutsche General Guderian eine gemeinsame Militärparade der Roten Armee und der Wehrmacht abgenommen.«
    Sie war überrascht, dass er den Friedensvertrag unerwähnt ließ, der am Ende des Großen Krieges in der Brester Festung zwischen Russland und Deutschland unterzeichnet worden war. Dann aber fiel ihr ein, dass er sich einmal abfällig über diesen Vertrag geäußert hatte, mit dem »wir Teile unseres Landes und unserer Naturschätze an den unterlegenen deutschen Kaiser verschachert haben«.
    »Also, diese Parade vor einem Jahr wurde wegen der Kürze der Zeit in aller Eile organisiert. Da nun aber Brest auf der Grenze zwischen uns und den Deutschen gelegen ist, stellt es einen guten Ort für gemeinsame Aktivitäten dar.«
    »Das klingt interessant.«
    »Unter meiner persönlichen Aufsicht und in Zusammenarbeit mit deutschen Stellen werden Sie eine Maßnahme leiten zur Demonstration unseres …«
    »… guten Willens«, deklamierte sie.
    »Genau«, knurrte er erneut. »Und da dieser gute Wille nicht offiziell ist und auf beiden Seiten von Stellen ausgeht, die lediglich die Spannungen abbauen wollen, wollen wir die Operation als Austausch auf niedrigster Befehlsebene bezeichnen. Ihre Aufgabe, Alexandra Andrejewna, ist es, konstruktive und unverbindliche Ideen vorzulegen. Denn die großen Fragen zwischen Deutschland und der Sowjetunion werden schließlich in Moskau und Berlin verhandelt.«
    »Das klingt nach einer

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