Gute Leute: Roman (German Edition)
Arbeit ohne jede Bedeutung.«
»Im Gegenteil! Dinge dieser Art können unter dem Strich überaus nützlich sein. Wir erwarten eine schöpferische Initiative und perspektivische Ideen.«
»Warum ausgerechnet ich?« In Gedanken verabschiedete sie sich bereits von all den lästigen Pflichten und Ritualen: den Sitzungen, den Schriftsätzen und Berichten, all dieser blutigen Schmutzarbeit. Eine solche Verbesserung ihrer Lage hätte sie niemals zu erhoffen gewagt, ja sie hatte sich innerlich bereits damit abgefunden, dass dies ihr Leben sein würde, es sei denn, sie erhörte Maxim und würde schwanger.
»Warum Sie? Nun, aus all den Gründen, die ich zuvor erwähnte, und auch, weil ich Ihrem Lebenslauf entnommen habe, dass Sie Französisch können. Die Deutschen werden ebenfalls Repräsentanten schicken, die die Sprache dieses bemitleidenswerten Landes sprechen. Einer meiner engsten Bekannten, der im vergangenen Februar bei einer Konferenz der Gestapo und des NKWD dabei war, hat sich positiv beeindruckt von diesen Leuten gezeigt. Seiner Ansicht nach sind die Deutschen sehr professionell und zeigen sich überraschend flexibel, wenn Entscheidungen schnell getroffen werden müssen.«
»In Leningrad habe ich auch Ermittler verschlissen, nicht nur Beschuldigte.«
»Kein Zweifel, dass Sie dafür geboren sind«, lachte Nikita Michailowitsch. »Und Sie werden nicht ein Wort über das verlieren, was Sie soeben gehört haben. Man hat mir von diesen Zusammenkünften nur erzählt, weil ich die Überstellung gewisser Häftlinge an die Gestapo abzusegnen hatte.«
»Das hätten Sie nicht ausdrücklich erwähnen müssen«, erwiderte sie. »Und das wird im wesentlichen meine Arbeit sein?«
»Das ausschließlich wird Ihre Arbeit sein, sonst nichts. Aber es gibt eine Bedingung«, fügte er hinzu. »Ich möchte, dass wir ehrlich miteinander sprechen. Ich bin dieses Versteckspiels müde. Ich möchte, dass wir die Wahrheit sagen. Immer habe ich mich bemüht, der Warnung Marc Aurels treu zu bleiben: ›Diejenigen, die nicht mit Aufmerksamkeit den Bewegungen ihrer eigenen Seele folgen, geraten notwendig ins Unglück.‹«
Seine Worte klangen für sie, als handelte es sich um eine weitere amüsante Note, wie sie sie in den endlosen Stunden der Sitzungen und Besprechungen gewechselt hatten. Dabei hatte es keinen Satz gegeben, der sie mehr belustigt hätte als: »Komm, lass uns die Wahrheit sagen.«
»Auch jetzt lüge ich nicht«, sagte sie, vorsichtig sich vorantastend.
»Sie verstehen mich sehr wohl.«
»Ich werde alle nur erdenklichen Anstrengungen unternehmen, meinen Teil der Abmachung zu erfüllen.« Es half nichts. In der Annahme, dass eine sonderbare Laune ihn befallen hatte, würde sie ihm ein paar »wahrhaftige Dinge« liefern, würde ihn glauben machen, ihre Seele in der Hand zu halten. Dieser Mann hatte zwar gezeigt, dass man ihn nicht unterschätzen durfte, aber seine Vorzüge waren auch nicht überzubewerten.
»Dann ist ja alles geregelt«, sagte er und nahm die Füße vom Tisch. »In einer Woche werden Sie Ihre neue Aufgabe antreten.«
»Das klingt ganz wunderbar«, hauchte sie. Nannte man diese Wärme, die in ihr aufwallte, etwa Glück? »Ich nehme an, ich sollte zutiefst dankbar sein.«
Lublin, Februar 1941
Eines Tages teilte ihm Frenzel mit, er habe sich in der Parteizentrale in der Horst-Wessel-Straße einzufinden.
»Wissen Sie, worum es geht?«
»Nicht im entferntesten«, erwiderte Frenzel, doch der spitzbübische Ausdruck in seinen Augen verriet, dass er sehr wohl etwas wusste.
»Soll ich Material mitbringen, das ich in der weißrussischen Sache zusammengetragen habe?«
»Wenn Sie möchten.«
»Welche Art von Material?«
»Ausgewähltes Material, selbstverständlich.«
Ein trauriges Lächeln deutete sich auf Thomas’ Gesicht an: Einer wie Frenzel, den er vor nicht allzu langer Zeit innerhalb eines Augenblicks dazu gebracht hätte, ihm in jeder beliebigen Angelegenheit zu Diensten zu sein, sprang mit ihm um wie mit einem begriffsstutzigen Stümper.
Aber Frenzel hatte ja recht, auf seine Art: Früher hatte Thomas darauf geachtet, seinen Gesprächspartnern nie das Gefühl zu geben, sie hätten die Informationen in der Hand, die er benötigte, doch in letzter Zeit benahm er sich immer öfter wie ein Dilettant. Da es ihm an Zuhörern fehlte, war er aus der Übung gekommen. Unter dem Vorwand, er sei müde, ließ er sich in Frenzels Büro in einen Sessel sinken. Er war über seine eigene Schwäche und
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