Gute liegt so nah...
hallo Millie. Was gibt’s denn?“ Ich stellte mir vor, wie sie herumzappelte, weil sie zweifellos Besseres zu tun hatte, als mit ihrer jüngeren Schwester zu telefonieren.
„Nichts Besonderes“, erwiderte ich und schenkte mir Tee ein, dessen krautiger Duft das Zimmer erfüllte. „Ich habe nur gehört, dass deine Scheidung seit heute rechtskräftig ist, und wollte mal hören, wie es dir geht.“
Schweigen am anderen Ende. Ich konnte die Gereiztheit meiner Schwester förmlich spüren. „Mir geht’s super“, sagte sie brüsk. „Könnte gar nicht besser sein.“
Ich biss die Zähne zusammen und redete weiter, obwohl ich nun wünschte, ich hätte nicht angerufen. „Na ja, du warst ziemlich lange verheiratet, deshalb dachte ich …“
„Millie, ich bin jetzt glücklich wie seit Jahren nicht. Nur weil du zum Sam-Nickerson-Fanclub gehörst, heißt das noch lange nicht, dass er und ich uns gut verstanden hätten. Was ich jetzt habe, ist das, was ich will. Ich will Avery und nicht Sam. Der ist langweilig.“ Und für meine Schwester gab es kein größeres Verbrechen, als langweilig zu sein.
„Natürlich“, sagte ich. „Es ist nur so … ich dachte, du wärst vielleicht nicht gut drauf. Immerhin wart ihr siebzehn Jahre zusammen. Aber anscheinend habe ich mich geirrt.“
„Ja, hast du.“
„Na gut, Trish. War schön, mit dir zu reden. Viel Spaß noch in New Jersey.“
„Wie geht es dir eigentlich?“, erkundigte Trish sich unerwartet.
„Mir? Gut. Großartig sogar“, antwortete ich und war sofort wieder versöhnt ob dieser unerwarteten Aufmerksamkeit. Das war nun ein mal das Elend der jüngeren Schwester.
„Was macht Grans Haus?“, fragte sie mit nur leicht feindseligem Unterton.
„Es geht voran“, antwortete ich. „Möchtest du etwas von den Sachen haben? Vielleicht einen Teppich?“
„Also bitte, Millie. Nein danke.“ Damit waren wir wieder bei unserem normalen Umgangston angelangt.
„Ich fahre nachher zu Danny und werde ihn von dir grüßen“, sagte ich, in der Hoffnung, ein paar Schuldgefühle zu wecken. Es funktionierte nicht.
„Ich habe ihn schon angerufen. Er kommt mich nächstes Wochenende besuchen.“
„Oh.“ Unsere Unterhaltung war damit beendet. Wir verabschiedeten uns mit dem üblichen Unbehagen und legten auf.
Trish und ich waren so verschieden, wie zwei Menschen mit den gleichen Genen es nur sein können. Während ich in meiner Jugend mit schiefen Zähnen und Übergewicht zu kämpfen hatte, schwebte Trish durch die Pubertät und blieb vollkommen verschont von Essstörungen, Pickeln und peinlichen Frisuren. Trish war Captain der Cheerleader; ich war Vorsitzende des Wissenschaftsklubs. Trish wurde Ballkönigin; ich war die Beste in Biologie. Sie war mit dem Footballstar zusammen; ich mit niemandem.
Um das Gefühl der Unzulänglichkeit und Frustration zu verscheuchen, das meine Schwester in mir weckte, telefonierte ich als Nächstes mit Katie Williams. Wir waren seit dem Kindergarten befreundet, nachdem sie sich auf meinen Maltisch übergeben hatte – solche Erfahrungen schweißen auf ewig zusammen. Jemand, der einen schon kennt, seit man die ersten Milchzähne verloren hat, der einem den ersten BH gekauft und den ersten Drink spendiert hat, ist durch nichts zu ersetzen. Katie wusste von meiner unsterblichen Liebe zu Joe, meinen Plänen, Trish, einfach alles. Als alleinerziehende Mutter zweier kleiner Söhne unterhielt sie sich gerne mal über andere Themen als Töpfchentraining oder „Bob der Baumeister“. Selbstverständlich erhielt sie durch die Patentante ihrer Söhne (ich) eine kostenlose medizinische Versorgung. Jedenfalls war es Katie, die mir stets aufmerksam zuhörte, wenn ich von Joe schwärmte, fantasierte, Pläne schmiedete oder über ihn schimpfte.
Katie lauschte mit gespielter Anteilnahme und angestrengtem Lachen der Schilderung meiner ersten sportlichen Ambitionen, solidarisierte sich mit mir gegen meine Schwester und versprach, am nächsten Tag mit meinen Patenkindern zum Kaffee zu kommen. Nachdem das Gespräch beendet war, zog ich mich an, schaltete meinen CD-Player ein und tanzte zu U2, wobei ich mich für zwei Songs in Bono verwandelte. Dann hörte ich auf, Zeit zu schinden, und stieg in meinen Wagen, um Sam und Danny zu besuchen.
Die beiden wohnten am anderen Ende der Stadt in einer der schönsten Gegenden von Eastham. Als mein Neffe drei oder vier Jahre alt gewesen war, starben Sams Eltern bei einem Autounfall, den ein betrunkener Teenager auf
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