Gute Nacht: Thriller (German Edition)
Loch in dem Fall zurück, das Sie um den Schlaf bringt. Mit welchen Fragen ringen Sie um zwei Uhr nachts?«
Er musste nicht lange überlegen. »Vor allem mit dreien. Erstens dem Zeitfaktor. Warum haben die Morde ausgerechnet im Frühjahr 2000 begonnen? Zweitens, welche Ermittlungsansätze wurden durch das Auftauchen des Manifests abgeschnitten oder nie angedacht? Drittens, warum war das Töten geldgieriger Reicher die richtige Tarngeschichte zur Verschleierung der tatsächlichen Motive?«
Skeptisch zog Bullard die Braue hoch. »Vorausgesetzt, dass es wirklich nicht primär darum ging, reiche Protze zu liquidieren. In dieser Frage bin ich mir längst nicht so sicher wie Sie.«
»Das kommt schon noch. Eigentlich …«
»Der Gute Hirte ist wieder da!« Die leider zutreffende Sensationsmeldung aus dem Fernseher über der Bar ließ Gurney mitten im Satz verstummen. Einer der RAM -Nachrichtensprecher teilte sich das Bild mit Reverend Emmet Prunk, einem bekannten Fernsehprediger mit grauen Schmalzlocken.
»Aus zuverlässigen Quellen verlautet, dass der gefürchtete Serienmörder erneut sein Unwesen im Norden des Bundesstaats New York treibt. Vor zehn Jahren beendete der Gute Hirte das Leben von Harold Blum mit einer Kugel in den Kopf. Letzte Nacht ist der Mörder zurückgekehrt. Zurück zu Harolds Witwe Ruth. Mitten in der Nacht verschaffte er sich Zutritt zu ihrem Haus und rammte ihr einen Eispickel durchs Herz.« Der dramatische Vortrag des Mannes war ebenso fesselnd wie abstoßend. »Das ist so … unmenschlich …, so jenseits aller Grenzen … Entschuldigung, es gibt Dinge in dieser Welt, die machen einen einfach sprachlos.« Grimmig schüttelte er den Kopf und wandte sich zur Seite, als säße der Prediger tatsächlich neben ihm im Studio. »Reverend Prunk, Sie finden doch immer die richtigen Worte, haben die richtigen Einsichten. Helfen Sie uns. Wie schätzen Sie diese schreckliche Entwicklung ein?«
»Nun, Dan, wie wohl jeder normale Mensch empfinde ich ein Wechselbad der Gefühle von Grauen bis Empörung. Aber ich glaube auch, dass Gottes Ratschluss jedem Ereignis einen Sinn zugedacht hat, selbst wenn dieses dem menschlichen Blick noch so schrecklich erscheint. Aber, Reverend Prunk, mag der eine oder andere jetzt vielleicht fragen, was kann der Sinn so eines Albtraums sein? Und ich antworte, dass wir aus der Zurschaustellung von so viel Schrecklichem viel über das Wesen des Bösen in der heutigen Welt lernen können. Dieses Ungeheuer hat keine Achtung vor seinen Opfern. Sie sind wie Spreu, die der Wind in seiner Willkür verweht. Sie sind nichts. Ein Rauchschwaden. Ein Klumpen Dreck. Das ist die Lektion, die uns vor Augen gestellt wird. Sie zeigt uns das Wesen des Bösen. Leben auszulöschen, es wegzublasen wie einen Rauchschwaden, es zu zertrampeln wie einen Klumpen Dreck – das ist das Wesen des Bösen! Das ist die Lehre, die die Gerechten nach dem Willen des Herrn aus den Taten des Teufels ziehen können.«
»Vielen Dank, Reverend.« Der Sprecher blickte wieder in die Kamera. »Das waren wie immer weise Worte von Reverend Emmet Prunk. Und jetzt zu wichtigen Informationen von den großartigen Menschen, die RAM News erst möglich machen.«
Der Ansager wurde von einer Serie lauter, aggressiver Werbespots verdrängt.
»Meine Güte«, knurrte Gurney und wandte sich wieder Bullard zu.
Sie sah ihm in die Augen. »Sagen Sie mir noch mal, dass Sie keine Geschäfte mit diesen Leuten machen.«
»Ich mach keine Geschäfte mit diesen Leuten.«
Nachdem sie ihn ein Weilchen fixiert hatte, zog sie ein Gesicht, als wäre ihr eine Peperoni aufgestoßen. »Vorhin haben Sie erwähnt, dass bestimmte Ermittlungsansätze durch das Auftauchen des Manifests abgeschnitten wurden. Haben Sie auch darüber nachgedacht, was das für Ansätze sein könnten?«
»Das Naheliegende eben. Erst mal, wer profitiert? Die einfache Frage, wer einen praktischen Nutzen von allen sechs Morden hatte, steht ganz oben auf der Liste von Punkten, die nie diskutiert wurden, weil sich alle vorschnell auf einen Psychopathen mit göttlicher Mission festgelegt haben.«
»Also schön, das sehe ich ein. Was sonst?«
»Ein Zusammenhang. Ein verbindendes Glied in der Vergangenheit der Opfer.«
»Also nicht nur die Mercedes-Sache?«
»Genau.«
Sie wirkte skeptisch. »Das Problem ist, dann wären die Autos nebensächlich. Wenn sie nicht das Hauptkriterium für die Anschläge waren, dann muss es Zufall sein. Und so was wäre schon ein Wahnsinnszufall,
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