Gute Nacht: Thriller (German Edition)
wurde. Das war der Auslöser für seinen Anschlag auf Ruth Blum. Er sieht in der Sendung eine unerträgliche Verherrlichung verabscheuenswerter Menschen.«
»Und das alles ergibt einen Sinn«, warf Trout ein. »Es bestätigt, was wir von Anfang an über diesen Fall gesagt haben.«
Gurney ignorierte die Unterbrechung und konzentrierte sich weiter auf die Psychologin. »Wie zornig ist er Ihrer Meinung nach?«
»Was?«
»Wie zornig war der Mann, der das geschrieben hat?«
Die Frage schien sie in Verlegenheit zu bringen. Sie griff nach ihrer Kopie und las sie noch einmal durch. »Nun … er verwendet häufig emotionale Begriffe und Bilder: Blut … Böse … Makel … Schuld … Strafe … Tod … Gift … Ungeheuer , die eine Art biblischen Zorn ausdrücken.«
»Was wir in diesem Schriftstück sehen, ist das Zorn ? Oder ist es die Darstellung von Zorn?«
Um ihren Mundwinkel zuckte es leicht. »Was wäre da der Unterschied?«
»Ich frage mich, ob das ein wütender Mann ist, der seinen Gefühlen Ausdruck verleiht, oder ein ruhiger Mann, der formuliert, was ein wütender Mann seiner Meinung nach schreiben würde.«
Trout schaltete sich wieder ein. »Was soll das?«
»Ganz einfach«, antwortete Gurney. »Ich frage, ob Dr. Holdenfield, eine äußerst kompetente Psychotherapeutin, den Eindruck hat, dass der Verfasser dieser Nachricht ein authentisches Gefühl zum Ausdruck bringt oder sozusagen nur einer von ihm erfundenen Figur Worte in den Mund legt – einer fiktiven Figur mit dem Namen Guter
Hirte.«
Trout sah Bullard an. »Lieutenant, wir können nicht den ganzen Tag mit solchen exzentrischen Theorien verplempern. Sie haben zu dieser Besprechung geladen. Ich möchte Sie bitten, ein wenig Einfluss auf die Tagesordnung zu nehmen.«
Gurney ließ den Blick der Psychologin nicht los. »Keine schwere Frage, Rebecca. Was meinen Sie?«
Sie ließ sich lange Zeit für ihre Antwort. »Ich bin mir nicht sicher.«
Endlich spürte Gurney ein wenig Aufrichtigkeit in Holdenfields Augen.
Bullard wirkte beunruhigt. »David, vor ein paar Minuten haben Sie von einem rein praktischen Motiv des Guten Hirten gesprochen. Welches rein praktische Motiv kann einen Mörder dazu bewegen, sechs Opfer auszuwählen, deren einzige Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie extravagante Autos fahren?«
»Extravagante schwarze Autos der Marke Mercedes«, präzisierte Gurney mehr für sich selbst als für sie. Wieder fiel ihm Der Mann mit dem schwarzen Regenschirm ein. Bei der Erörterung eines echten Verbrechens auf einen Film zu verweisen war riskant, vor allem in einem Kreis nicht unbedingt Wohlgesinnter, aber darauf konnte Gurney jetzt keine Rücksicht nehmen. Er erzählte von den Killern, die von dem Mann mit dem schwarzen Schirm ablassen müssen, als er in einer Menge von Menschen mit ähnlichen Schirmen untertaucht.
»Was soll diese Geschichte mit dem Mordfall zu tun haben, über den wir hier reden?« Es war Dakers erste Bemerkung am Tisch.
Gurney lächelte. »Das weiß ich auch nicht. Ich hab nur das Gefühl, dass es einen Zusammenhang gibt. Ich hatte gehofft, jemand hier im Zimmer ist vielleicht so scharfsinnig, ihn zu erkennen.«
Trout verdrehte die Augen.
Bullard griff wieder nach der Liste mit Gurneys Fragen. Auf halber Höhe blieb ihr Blick hängen, und sie las laut vor: »Waren die Morde alle gleich wichtig?« Sie schaute in die Runde. »Wie ich finde, eine interessante Frage im Kontext der Schirmgeschichte.«
»Ich sehe da keine Verbindung«, meinte Daker.
Bullard blinzelte wieder, als würde sie Möglichkeiten abhaken. »Angenommen, nicht alle Opfer waren primäre Ziele.«
»Und was waren sie dann? Fehler ?« Trout schüttelte den Kopf.
Diese Möglichkeit hatte Gurney schon mit Hardwick diskutiert und war dabei nur auf völlig unwahrscheinliche Szenarien gestoßen. »Keine Fehler«, erwiderte er, »aber in irgendeiner Weise sekundär.«
Daker fuhr auf. »Sekundär? Was soll das heißen, verdammt?«
»Das weiß ich nicht. Vorerst ist es noch eine Frage.«
Mit lautem Klatschen ließ Trout die Hände auf den Tisch sausen. »Ich sage das nur einmal. Irgendwann kommt bei jeder Ermittlung die Zeit, da wir aufhören müssen, die Grundlagen in Zweifel zu ziehen, und uns endlich an die Verfolgung des Täters machen sollten.«
»Das Problem ist«, erwiderte Gurney, »dass in diesem Fall nie ernsthafte Fragen gestellt wurden.«
»Das reicht.« Bullard hob die Hände, um Einhalt zu gebieten. »Ich möchte jetzt darüber reden,
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