Gute Nacht: Thriller (German Edition)
Kann sein, dass ich nach der Arbeit zu Betty fahre.« Sie machte eine Pause. »Ist das in Ordnung?«
Diese Frage stellte sie oft in den unterschiedlichsten Zusammenhängen. Es konnte darum gehen, dass sie einen Spaziergang machte, dass sie etwas anpflanzen wollte oder dass sie ein neues Gericht kochte. Er fand es immer unerklärlich irritierend und gab stets die gleiche Antwort: »Natürlich ist es in Ordnung.« Danach trat jedes Mal Stille ein, so auch jetzt.
Madeleine griff nach Krieg und Frieden und schlug es erneut auf.
Er nahm seinen Kaffee mit ins Arbeitszimmer und setzte sich an den Schreibtisch, um über die Situation nachzudenken, in die er sich an diesem Abend allein und weitgehend unvorbereitet begeben wollte.
Dann tauchte wie aus dem Nichts ein neuer Gedanke auf – eine neue Sorge. Er ließ den Kaffee stehen und ging hinaus zu Madeleines Auto.
Zwanzig Minuten später kam er zurück, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass seine plötzlich Furcht unbegründet und ihr Wagen frei von unerwünschten elektrischen Geräten war.
»Was hast du draußen gemacht?« Sie spähte über den Rand ihres Buchs, als er auf dem Weg ins Arbeitszimmer durch die Küche kam.
Er sah ein, dass es das Beste war, ihr reinen Wein einzuschenken. Er erzählte ihr, wonach er gesucht und was er an seinem und an Kims Auto entdeckt hatte.
»Wer steckt deiner Meinung nach dahinter?« Ihr Ton war gelassen, doch ihre ohnehin angespannte Miene verriet wachsende Besorgnis.
»Bin mir nicht sicher.« Obwohl es stimmte, war es eine ausweichende Antwort.
»Dieser Meese?« In ihrer Stimme schwang etwas wie Hoffnung mit.
»Möglich.«
»Oder die Person, die unsere Scheune niedergebrannt und Kims Kellertreppe angesägt hat?«
»Möglich.«
»Vielleicht der Gute Hirte persönlich?«
»Möglich.«
Sie holte langsam Luft. »Heißt das, dass er dir die ganze Zeit gefolgt ist?«
»Nicht unbedingt. Und mit Sicherheit war er nicht in der Nähe. Das wäre mir aufgefallen. Vielleicht will er nur wissen, wo ich bin.«
»Warum sollte ihn das interessieren?«
»Risikomanagement. Gefühl von Kontrolle. Der natürliche Wunsch, jederzeit zu wissen, wo sich der Feind gerade aufhält.«
Sie starrte ihn an, die Lippen zu einem Strich zusammengepresst. Offenbar dachte sie daran, dass man diese Information auch zu einem gewalttätigeren Zweck nutzen konnte.
Um ihre Sorgen ein wenig zu zerstreuen, hätte er ihr berichten können, dass er den Sender an seinem Outback bereits entfernt hatte, aber damit wäre unweigerlich die schwierige Frage aufgekommen, warum nicht auch an Kims Miata.
Dabei war die Antwort ganz einfach. Dass dem Batteriegerät irgendwann der Strom ausging, war glaubhaft. Doch es wäre nicht plausibel, wenn die verkabelte Version ebenfalls plötzlich versagte. Gurney zögerte, das zu erklären, weil sich Madeleine bestimmt darüber aufgeregt hätte, dass der Hirte weiterhin Kim nachspüren konnte. Nicht alle Probleme ließen sich gleichzeitig bewältigen, daher waren Kompromisse unabdingbar.
»Also, Dad, willst du uns erzählen, wie es gelaufen ist?«
Gurney drehte sich um und sah seinen Sohn, der soeben barfuß in Jeans und T-Shirt und mit feuchten Haaren vom Duschen kam.
»Ziemlich so, wie ich es gestern Abend beschrieben habe.«
»Sehr viel hast du da leider nicht beschrieben.«
»Wahrscheinlich wollte ich bloß noch ins Bett. Ich war kurz vorm Zusammenklappen. Aber es ist glattgelaufen. Keine Pannen. Ich denke, unsere Geschichte war glaubwürdig.«
»Und jetzt?«
Gurney wollte vor Madeleine nicht völlig offen über sein Vorhaben sprechen, um sie nicht zu beunruhigen. Er antwortete so sachlich wie möglich: »Ich gehe in Position und warte darauf, dass er in die Falle tappt.«
Kyle wirkte skeptisch. »Einfach so?«
Gurney zuckte die Achseln. Madeleine hatte zu lesen aufgehört und beobachtete ihn.
Kyle ließ nicht locker. »Wie lautete die Zauberformel?«
»Bitte?«
»Was habt ihr bei eurer … improvisierten Szene konkret gesagt? Ich meine, welchen Grund habt ihr ihm zum Auftauchen geliefert?«
»Wir haben ihm den Eindruck vermittelt, dass er mich vielleicht loswerden kann. An die genauen Worte erinnere ich mich nicht mehr …«
In diesem Augenblick klingelte sein Handy.
Auf dem Display erkannte er Kims Nummer. Er war dankbar für die Unterbrechung – allerdings dauerte die Dankbarkeit höchstens drei Sekunden.
Sie klang, als würde sie hyperventilieren.
»Kim? Was ist denn los?«
»O Gott …, mein Gott
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