Gute Nacht: Thriller (German Edition)
verharrte Gurney einfach nur reglos an seinem Platz und überlegte fieberhaft, was dieser neue Todesfall bedeutete, welche Folgerungen er daraus ziehen und was er unternehmen musste. Er kam sich vor wie ein Jongleur mit einem halben Dutzend Orangen, dem gerade eine Wassermelone zugeworfen worden war.
Eine mit Nitroglyzerin gefüllte Wassermelone.
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Keine andere Wahl
»Selbstmord?«, fragte Kyle.
»Kann ich mir nicht vorstellen«, antwortete Gurney. »Dafür war er nicht der Typ. Und selbst wenn – für mich riecht das Ganze schwer nach Mord.«
»Meinst du, die Cops in Syracuse sind schlau genug, um rauszufinden, was wirklich passiert ist?«
»Vielleicht mit ein bisschen Hilfe.« Nach kurzem Zögern griff er nach seinem Telefon und gab Hardwicks Nummer ein.
Schon beim ersten Klingeln nahm er ab. »So ein verpisster Zufall!«
»Pardon?«
»Gerade wollte ich dich anrufen, und da bist du schon. Erzähl mir bloß nicht, dass das kein verpisster Zufall ist.«
»Wie du meinst, Jack. Der Grund meines Anrufs ist folgender: Ich weiß etwas, das für das BCI nützlich sein könnte, aber du bist vermutlich der einzige BCI -Beamte, der noch mit mir redet.«
»Ja, wenn ich dir erst meine Neuigkeiten erzählt habe, dann wird dich das alles bestimmt nicht mehr …«
»Hör zu. Robby Meese ist tot.«
»Tot? Du meinst abgemurkst?«
»Vermutlich, allerdings wurde es als Selbstmord hingedreht.«
»Das BCI weiß noch nichts von dem Toten?«
»Nein, vorerst bloß die Polizei von Syracuse. Ihr kommt sicher als Nächstes dran. Doch darum geht’s nicht. Keine Ahnung, wer für die Spurensicherung zuständig ist, aber die Techniker sollen auf jeden Fall die Computertastatur unter die Lupe nehmen, die für den angeblichen Abschiedsbrief benutzt wurde. Wahrscheinlich weisen die benutzten Tasten ähnliche Verwischungen auf wie bei Ruth Blums Computer.«
Hardwick stockte, als müsste er diese Informationen erst verarbeiten. »Wo ist die Leiche?«
»In Kim Corazons Apartment.«
Eine lange Pause entstand. »Die Verwischungen auf Ruth Blums Tastatur stammten von Latexhandschuhen und wurden von jemandem hinterlassen, der ihre Fingerabdrücke bewahren wollte. Damit es aussieht, als hätte sie das Ganze getippt. Richtig?«
»Richtig.«
»Und wie soll das in diesem Fall funktionieren? Auf der Tastatur sind doch nur die Abdrücke von Kim Corazon, nicht die von Meese. Da kann es eigentlich gar nicht so aussehen, als hätte er es getippt.«
»Der Mörder kann Meese gebeten haben, was anderes zu tippen – eine E-Mail zum Beispiel –, bevor er ihn umgebracht hat. Und als Meeses Abdrücke dann auf den Tasten waren, hat der Mörder Handschuhe angezogen und den Abschiedsbrief getippt.«
»Und was soll ich jetzt mit diesen Erkenntnissen anfangen?«
»Wenn du den Bericht der zentralen FBI -Datenbank über Meese siehst, in dem mit ein bisschen Glück auch der Computerbrief erwähnt wird, könnte dir plötzlich – wegen der Verbindung von Kim Corazon zu Ruth Blum – einfallen, dass die Tastaturabdrücke verglichen werden müssen. Am besten, du machst Lieutenant Bullard in Auburn und Detective James Schiff in Syracuse darauf aufmerk-
sam.«
»Du willst es nicht selber machen?«
»Mein Name besitzt im Moment keine große Ausstrahlung. Jede Anregung von mir wird ganz unten in der Ablage landen, wenn überhaupt.«
Ein bellender Husten brach aus Hardwick hervor. Vielleicht war es auch ein Lachen. »Mann, du weißt ja gar nicht, wie verdammt recht du damit hast. Deswegen wollte ich dich nämlich gerade anrufen. Die Abteilung Brandursachenermittlung hat beschlossen, dich zum Verhör abzuholen. Als Verdächtigen.«
»Wann?«
»Wahrscheinlich morgen früh. Aber möglicherweise schon heute Nachmittag. Ich dachte, ich geb dir Bescheid, falls du lieber nicht zu Hause sein möchtest.«
»In Ordnung, Jack. Danke. Ich muss jetzt auflegen. Hab noch ein paar Dinge zu erledigen.«
»Pass auf dich auf, alter Schwede. Das wird allmählich eine fiese Treibjagd.«
Nach dem Ende des Telefonats stand Gurney schweigend mitten in dem großen Raum. Madeleine und Kyle saßen am Tisch, und sein Sohn musterte ihn mit unverhohlener Verblüffung. »Das ist unglaublich – die Sache mit den Handschuhen auf der Tastatur. Wow. Wie bist du darauf gekommen?«
»Nur eine Vermutung. Vielleicht liege ich auch falsch. Doch inzwischen hab ich ein anderes Problem am Hals. Die Idioten von der Brandursachenermittlung werden anscheinend von den FBI -Idioten dazu
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