Gute Nacht: Thriller (German Edition)
leeren Wassergläsern wieder. Sie reichte ihm eins und stieß mit ihrem an. »Zum Wohl.« Sie setzte sich aufs Sofa und wandte sich ihm von der Seite zu.
»Zum Wohl. Ich sehe, du trinkst Wein. Musst dich wohl beruhigen wegen dieser RAM -Sache.«
Sie gab ein lautes Seufzen von sich. »Das Ganze ist ein einziger Albtraum.«
Gurney räusperte sich. »Fernsehen ist eben Fernsehen.«
»Heißt das, ich soll mich darüber freuen, dass ich mit Rudy zusammenarbeiten darf, diesem Kotzbrocken?«
»Freuen nicht unbedingt«, antwortete Gurney. »Aber du musst an deine Zukunft denken.«
»Bin mir nicht sicher, ob ich so eine Zukunft will. Warum?« Ein scherzhafter Ton schwang jetzt in ihrer Stimme mit. »Bist du vielleicht scharf darauf, die Sendung zu machen, die Getz dir angeboten hat?«
»Bestimmt nicht, zumindest nicht so, wie er das beschrieben hat.« Gurney hustete. »Kannst du mir noch was nachschenken?« Er deutete auf ihr Handy.
Sie nickte und nahm es an sich. »Du hast anscheinend wirklich Durst.« Geräuschvoll stand sie auf und stieß ihr Glas mit der Hand um. »Verdammt, so ein Mist!« Verärgert stapfte sie aus dem Zimmer.
Das Glas war leer, nichts war verschüttet worden, doch ein Zuhörer würde nicht an dem Missgeschick zweifeln, das ihm soeben vorgespielt worden war. Gurney lächelte. Die junge Dame hatte Talent.
Kurz darauf klingelte sein Telefon. Er griff danach und begann sein fiktives Gespräch.
»Max? … Klar, schießen Sie los … Worauf wollen Sie raus? … Warum fragen Sie? … Was? … Wirklich? … Ja, ja, klar … Verstehe … Nein, nein, die Facebook-Nachricht war gefälscht … Ah, da ist was dran … Sind Sie ganz sicher? … Hören Sie, das leuchtet mir alles ein, aber das mit der Identität muss stimmen – hundert Prozent, keine losen Fäden? … Verdammt, das ist wirklich unglaublich, doch wahrscheinlich, Sie haben recht … Klar … Wo? … Ja, ich bringe alles mit … In Ordnung … Ja … Vorsicht … Morgen um Mitternacht … Natürlich!«
Gurney tat, als würde er den Anruf per Tastendruck beenden, dann legte er sein Telefon auf den Tisch.
Kim kam wieder ins Zimmer. »Hier, dein Saft.« In Wirklichkeit reichte sie ihm kein Glas. »Was war das für ein Anruf? Du wirkst auf einmal so aufgeregt.«
»Das war Max Clinter. Anscheinend hat der Gute Hirte endlich einen Fehler gemacht – zusätzlich zu denen, die er im Haus von Ruth Blum und in der Werkstatt ein Stück weiter oben an der Straße schon beging. Von denen wusste ich ja, aber Max hat gerade was rausgefunden, und jetzt wissen wir mit großer Wahrscheinlichkeit, wer er ist.«
»O Gott! Der Gute Hirte ist identifiziert?«
»Ja. Zumindest bin ich mir zu neunzig Prozent sicher. Trotzdem: Es müssen hundert Prozent sein. Bei so einer großen Sache darf es keine offenen Fragen geben.«
»Wer ist es? Sag es mir!«
»Noch nicht.«
»Was soll das heißen?«
»Ich kann mir keinen Irrtum leisten. Dafür steht viel zu viel auf dem Spiel. Ich treff mich morgen Nacht mit Clinter in seiner Hütte. Er zeigt mir seine Unterlagen. Wenn sie zu dem passen, was ich habe, schließt sich der Kreis – und der Hirte ist Geschichte.«
»Warum willst du bis morgen warten? Warum nicht gleich?«
»Clinter hat sich aus dem Staub gemacht, nachdem ihn der Gute Hirte mit einer SMS dazu verleitet hat, in Ruths Wohnviertel in Aurora herumzufahren. Seit er weiß, dass er reingelegt wurde, zieht er es vor, sich nicht mehr in der Gegend blicken zu lassen. Vor morgen um Mitternacht schafft er es nicht in seine Hütte.«
»Mann, ich fass es nicht! Du weißt, wer der Hirte ist, und willst es mir nicht verraten!« Sie klang verängstigt, fast kläglich.
»Es ist sicherer so.« Er wartete kurz, als müsste er nachdenken. »Ich glaube, du gehst am besten in ein Hotel. Dann bist du erst mal aus der Schusslinie. Pack ein paar Sachen, dann verschwinden wir hier.«
44
Nachbesprechung
Sie trafen sich auf dem Parkplatz eines großen, anonymen Hotels auf der Interstate 88, wie sie es bei der Abfahrt in Syracuse vereinbart hatten.
Inzwischen war es fast halb acht, und die Dunkelheit war hereingebrochen. Die grelle Parkplatzbeleuchtung schuf eine merkwürdige Atmosphäre, weder dunkel noch hell, wie man sich vielleicht das Tageslicht auf einem fernen, unbekannten Planeten vorstellte, der um eine blaue Sonne kreiste und nur blasse, kalte Farben kannte.
Kim setzte sich zu Gurney in den Outback, um die gemeinsame »Darbietung« und deren potenzielle Wirkung auf
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