Gute Nacht: Thriller (German Edition)
den vermutlichen Zuhörer zu besprechen. Sie war diejenige, die die entscheidende Frage aufwarf: »Glaubst du, der Hirte schluckt den Köder?«
»Alles in allem, ja. Mag sein, dass er misstrauisch ist. Wahrscheinlich ist er sowieso jemand, der permanent misstrauisch ist. Aber er muss was unternehmen. Und das heißt, er muss auftauchen. In dem Szenario, das wir entworfen haben, wäre Untätigkeit gefährlicher als Handeln. Das begreift ein äußerst logischer Typ wie er mit Sicherheit.«
»Du meinst also, wir haben es einigermaßen hingekriegt?«
»Du hast es nicht nur einigermaßen hingekriegt. Du warst ganz du selbst. Und jetzt hör mir zu. Du verbringst die Nacht hier im Hotel. Du machst niemandem auf. Unter keinen Umständen. Wenn dich jemand rauslocken will, verständigst du sofort den Wachdienst. Okay? Ruf mich morgen früh an.«
»Werden wir uns jemals wieder sicher fühlen können?«
Gurney lächelte. »Ich glaube schon. Ich hoffe, es ist nach morgen Nacht vorbei.«
Kim biss sich auf die Unterlippe. »Was wirst du als Nächstes tun?«
Gurney lehnte sich zurück und spähte hinaus in die außerirdische Parkplatzbeleuchtung. »Ich möchte, dass sich der Gute Hirte zu erkennen gibt und sich damit selbst ans Messer liefert. Aber das wird erst morgen Nacht passieren. Jetzt fahr ich erst mal nach Hause, leg mich ins Bett und hol den Schlaf nach, den ich in den letzten achtundvierzig Stunden verpasst habe.«
Kim nickte. »Gut.« Sie zögerte. »Also, dann werde ich mir mal ein Zimmer nehmen.« Mit ihrer Umhängetasche über der Schulter stieg sie aus und steuerte auf das Hotel zu.
Nachdem sie in der Lobby verschwunden war, schob sich Gurney ebenfalls von seinem Sitz und trat nach hinten zum Heck des Autos. Dort legte er sich auf den Rücken und griff unters Fahrgestell. Ohne große Probleme gelang es ihm, den GPS -Sender vom Stoßstangenträger zu entfernen. Als er wieder hinterm Steuer saß, öffnete er das Gerät mit einem kleinen Schraubenzieher und nahm die Batterie heraus.
Bis zur großen Konfrontation wollte er seinen Aufenthaltsort lieber für sich behalten.
45
Der Jünger des Teufels
Der Herr gibt, und der Herr nimmt.
In dieser Nacht fand Gurney endlich den dringend benötigten Schlaf. Doch als er am nächsten Morgen nach sieben Stunden erwachte, befiel ihn ein namenloses Grauen – eine quälende Angst, die auch nach dem Duschen, Anziehen und Umschnallen der Beretta nur teilweise verflog.
Um acht Uhr starrte er durchs Küchenfenster in den morgendlichen Dunst, der die Sonne nur als blasse weiße Scheibe erscheinen ließ. Er hatte die Hälfte seiner ersten Tasse Kaffee getrunken und wartete auf ihre belebende Wirkung. Madeleine saß mit Haferflocken, Toast und Krieg und Frieden am Frühstückstisch.
»Hast du die ganze Nacht in dem Buch gelesen?«, fragte er.
Sichtlich verwirrt und gereizt über die Unterbrechung fuhr sie auf. » Was? «
»Vergiss es. Entschuldige.«
Er schüttelte den Kopf über seinen misslungenen Scherz, der eigentlich gar keiner war und nur auf seiner Erinnerung beruhte, dass sie am vergangenen Abend mit demselben Buch am selben Platz gesessen hatte, als er von Syracuse nach Hause kam und nach einigen wenigen Andeutungen über den Verlauf des Täuschungsmanövers ins Bett gegangen war.
Er trank seinen Kaffee aus und schenkte sich bei der Anrichte nach.
Madeleine schloss ihr Buch und schob es ein paar Zentimeter Richtung Tischmitte. »Vielleicht solltest du lieber nicht so viel davon trinken.«
»Wahrscheinlich hast du recht.« Er füllte die Tasse trotzdem, fügte jedoch als winziges Zugeständnis an ihre Besorgnis nur ein Tütchen Zucker hinzu statt der üblichen zwei.
Ihr Blick ruhte noch immer auf ihm. Er hatte den Eindruck, dass die Anspannung in ihrem Gesicht sich auf wichtigere Dinge bezog als seinen Koffeinkonsum.
Nachdem er die Kaffeemaschine abgeschaltet hatte und zum Fenster zurückgekehrt war, hörte er ihre leise Stimme: »Kann ich was für dich tun?«
Die Frage hatte eine seltsame Wirkung auf ihn. Sie schien so allumfassend und zugleich so einfach.
»Ich glaube nicht.« Seine Antwort klang banal und unzulänglich in seinen Ohren.
»Sag bitte Bescheid, wenn dir was einfällt.«
Ihr sanfter Ton vermittelte ihm erst recht das Gefühl von Unzulänglichkeit. Mit einem Themenwechsel versuchte er, seine eigene Stimmung zu bessern. »Und was steht bei dir heute auf dem Plan?«
»Die Klinik natürlich. Und vielleicht bin ich zum Abendessen nicht zu Hause.
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