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Gute Nacht Zuckerpüppchen

Gute Nacht Zuckerpüppchen

Titel: Gute Nacht Zuckerpüppchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Glade-Hassenmüller
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gar nicht vorhanden war. Meilenweit lagen die Sterne auseinander, keine Verbindung zueinander. Jeder Stern ist eine Hoffnung, hatte sie einmal gelesen. Es gab so unsagbar viele Sterne. Und dann auch Hoffnung?

    Ihre Füße brannten. Ihr Mund war trocken. Längst lag der Elbwanderweg hinter ihr, aber sie lief weiter an der Elbe entlang, über krumme Pfade, holprige Straßen, bis hohe Hecken den Weg versperrten. Die vornehmen Gärten der großen Villen gingen bis hinunter ans Wasser. Ich muß einen Unterschlupf suchen, für diese Nacht. Morgen sehe ich weiter. Sie versteckte sich vor einer Frau mit Hund im Gebüsch.
    »Nun komm schon, Mohrchen!« Ungeduldig zog die Frau ihren Pudel an der Leine, als er Gaby witterte und anfing zu bellen.
    »Kümmere dich nicht um jede streunende Katze!«
    Frau und Hund verschwanden hinter einer hell erleuchteten Tür. Gaby starrte den beiden nach. Ob die Frau Kinder hatte? In einem so schönen Haus lebten bestimmt nur glückliche Menschen. Später wollte sie auch in so einem Haus leben. Es konnte auch kleiner sein, aber liebhaben wollte sie ihre Kinder, für sie sorgen, sie beschützen. Ihr Blick fiel auf das Gartenhäuschen, das zu der Villa gehörte. Knarrend öffnete sie die Pforte zum Garten und schlich zu dem Häuschen. Es war nicht verschlossen. Sie hörte den Hund anschlagen, zwei-, dreimal, dann war es wieder ruhig.
    Gaby schloß die Tür hinter sich und blieb aufatmend stehen. Sie wartete, bis sich ihre Augen an das Dunkel gewöhnt hatten: Gartengeräte, eine Holzbank, Flaschen, Kartons. Sie tastete sich vorsichtig weiter. Das viereckige, kleine Fenster ließ genug Mondlicht herein. Sie stolperte über eine Gießkanne. Hinter den Pappkartons lagen Jutesäcke. Gaby schnupperte. Kartoffelsäcke. Sie legte zwei davon als Unterlage auf die Bank und setzte sich. Aus ihrer Tasche nahm sie einen Apfel und biß hinein. Ganz langsam kaute sie ihn, so wie früher die harten Brotrinden von Oma Brinkjewski. Sie hatte Durst. Etwas aus den Flaschen zu trinken, die in der Ecke standen, traute sie sich nicht. Vielleicht war Gift darin? Manche Leute bewahrten Gift in Flaschen. Das hatte sie in der Zeitung gelesen. E 605 hatte ein Mann in einer Bierflasche bewahrt, und seine Frau hatte es getrunken. Ob das wirklich ein Versehen war?
    Pappi trank auch immer Bier. Konnte sie E 605 kaufen? Wahrscheinlich nicht, wahrscheinlich mußte man erwachsen sein, um Gift zu kaufen.
    Alles konnte man, wenn man erwachsen war. Nur Kinder, die konnten nichts. Die saßen gefangen hinter einem Gitter von Angst und Schmerz, hatten zu gehorchen. Jetzt war sie ausgebrochen aus dem Käfig. Nichts würde sie dazu bringen, freiwillig zurückzukehren. Nichts.

8

    Gaby hockte zusammengesunken auf dem Holzstuhl, eine Lampe schien ihr ins Gesicht. Ein Beamter saß vor ihr, am Fenster stand eine Beamtin mit einem blonden Haarknoten.
    Irgendwie erinnerte sie die Szene an die Befragung auf der Volksschule. Damals, mit Elli.
    Nur stand Pappi diesmal hinter ihr, seine Hände drückten lotschwer auf ihre Schultern.
    »Sie glauben nicht, was wir an Ängsten ausgestanden haben. Meine Frau und ich. Alles tut man für so ein Kind, aber auch wirklich alles, Herr Oberkommissar!«
    »Kommissar, bitte!« Der Polizist hob abwehrend eine Hand hoch.
    »Herr Kommissar. Gut. Wo war ich stehengeblieben? Ja, alles tut man für ein Kind. Man füttert es groß. War nicht einfach in den Jahren nach dem Krieg. Man kleidet es, man schickt es zur Oberschule. Aber nein, das Fräulein läuft weg. Verrückt sind wir geworden vor Sorge! Meine Frau, es hat sie beinahe umgebracht...«
    Gaby drehte langsam ihren Kopf und sah Pappi an. E 605, dachte sie.
    Er brach ab, schwieg.
    »Wirklich, einfach so, ohne Grund?« schaltete sich jetzt die Beamtin ein. »Gaby selbst sagt ja nichts. Und wenn uns nicht die Wirtin der Pension >Elbruh< angerufen hätte, läge sie wahrscheinlich immer noch da in dem Dachzimmer.«
    Diese Wirtin, das falsche Luder, dachte Gaby. Zu ihr war Frau Mertens ganz freundlich gewesen. Auf jeden Fall, nachdem sie für eine Woche im voraus die Miete für das kleine Dachzimmer bezahlt hatte.
    »Ich warte hier auf meine Eltern. Die kommen nächste Woche Freitag mit der MS >Neuwied< an. Zusammen mit Vati und Mutti fahre ich dann nach Hamburg weiter.«

    Beim Zollamt hatte Gaby zufällig gehört, daß das Motorschiff »Neuwied« aus Übersee erwartet wurde und dann als folgendes Ziel Brasilien hatte.
    Brasilien klang gut, war weit weg. Sie

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