Gute Nacht Zuckerpüppchen
aus.«
»Halt deinen frechen Mund«, erboste sich Pappi.
Mutti kam ins Zimmer. »Streitet ihr schon wieder?« Resigniert begann sie den Tisch zu decken.
»Rotzfrech ist deine Tochter«, schimpfte er.
»Was war denn los?«
Unwirsch winkte Pappi ab. »Dauernd Widerworte, alles weiß sie besser.«
Vorwurfsvoll blickte Mutti Gaby an. »Was hast du nur? Seit deinem Unfall bist du nicht mehr wiederzuerkennen. Man könnte meinen, in deinem Kopf sei irgend etwas aus den Fugen geraten. Wenn du etwas hast, dann sage es doch!«
Gaby setzte sich in den Sessel am Ofen, nahm Mark auf den Schoß und wiegte ihn leise hin und her. Es beruhigte sie beide.
»Hörst du nicht, deine Mutter redet mit dir!« bellte Pappi.
Gaby schmiegte ihr Gesicht gegen Marks Köpfchen. Er roch nach duftender Seife, zarter Kinderhaut und weichem Seidenhaar.
»Warum sagst du es ihr nicht?« sagte Gaby zu Pappi, ohne aufzusehen und so, als wäre Mutti nicht im Zimmer.
»Da hörst du es, dauernd Widerworte.«
Gaby stellte Mark auf den Fußboden und stand auf.
»Du machst mir keine Angst mehr«, log sie, Haß und Kampf in den Augen. »Ich gehe jetzt zu Martie. Mein Appetit ist mir vergangen.«
Martie war Gabys Nachhilfeschülerin. Pappi hatte seine Einwilligung zu den Stunden gegeben, weil ihm kein Argument einfiel, es zu verweigern.
Beim letzten Einkauf hatte Schlachter Thormälen Gaby den Vorschlag gemacht. »Du warst doch immer eine gute Schülerin. Deine Mutter hat mir oft stolz von deinen Einsern erzählt.«
Gaby nahm das Fleisch entgegen. »Ich bin jetzt in der Lehre. Nur mittwochs heißt es wieder büffeln, dann habe ich nämlich Berufsschule.«
»Hättest du vielleicht Lust, unserer Martie Nachhilfeunterricht zu geben? Sie schafft es nicht allein. Ein zartes Kind. Und sie soll später nicht hier im Laden stehen. Das ist nichts für sie.«
Mühsam unterdrückte Gaby ein Lächeln. Frau Thormälen wischte sich gerade eine fettige Strähne ihres aschblonden Haares aus dem runden, rosigen Gesicht. Ihr weißer Kittel klaffte über ihrem üppigen Busen auseinander. Herr Thormälen, kolossal und behäbig, strich sich die Finger an der Schürze über seinem schwellenden Bauch ab.
»Was meinst du? Ich bezahle dich natürlich gut.«
Schon wollte Gaby ablehnen, als die Tür zu den Privaträumen der Thormälens aufging. Ein zartes, blasses Mädchen stand da, lange, dunkle Ringellocken umrahmten ein feines Gesicht mit großen dunklen Augen.
»Komm näher, Martie, sei doch nicht so verlegen!«
Herr Thormälen ging ächzend in die Hocke und faßte seine Tochter liebevoll bei den Schultern. »Kleines, Gaby Mangold würde dir vielleicht Nachhilfeunterricht geben. Was hältst du davon?«
Martie sah zu Gaby und grub nachdenklich ihre kleinen, weißen Zähne in ihre Unterlippe.
Was für ein außergewöhnliches Mädchen, ging es Gaby durch den Kopf. Wie kommen diese robusten Schlachtersleute zu so einem Kind? Kein Wunder, daß ihr Vater sie sich nicht als Schlachtersfrau vorstellen konnte. Gaby konnte es auch nicht.
»Nun sage doch, mein Herzblatt, gefällt dir die Gaby?«
Gaby lächelte das Kind freundlich an. Mein Herzblatt, nannte ihr Vater sie. Sie fühlte, daß Herr Thormälen meinte, was er sagte. Wenn jemand seinem Herzblatt ein Leid zufügen würde, wäre er bestimmt außer sich. Rasend.
»Sie sieht lieb aus«, stellte Martie fest, so, als wäre das genug als Voraussetzung für Nachhilfestunden.
»Also gut«, stimmte Gaby zu. »Montag und Freitag könnte ich abends mit dir üben. Ich bin überzeugt, daß wir beide gut miteinander auskommen. Und lernen kannst du bestimmt. Wahrscheinlich weißt du nur noch nicht genau, wie.«
Seitdem gab Gaby der kleinen Martie zweimal in der Woche Nachhilfeunterricht in fast allen Fächern. Zu Anfang ging sie selber zu den Thormälens, dann bat sie Martie, zu ihr zu kommen.
»Ich muß nebenbei noch ein Auge auf meinen kleinen Bruder Mark haben«, erklärte sie Marties Vater.
»Natürlich, deine Mutter kann sich freuen, so eine große Tochter zu haben.« Herr Thormälen schnitt ein Stück Mettwurst ab und wickelte es in Pergamentpapier.
»Hier, zum Abendbrot. Sei aber bitte so gut, und bringe Martie wieder nach Hause. Ich möchte nicht, daß sie im Dunkeln noch alleine auf der Straße ist.«
»Ich passe auf sie auf«, versprach Gaby.
Während ihres Nachhauseweges sah sie auf ihre Armbanduhr. Von Tür zu Tür waren es genau acht Minuten. Wenn man es eilig hatte, dauerte es bestimmt nur die Hälfte
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